Die Nutzung des 1738–1745 neu errichteten Herrenhauses in Angern Angern unter General Christoph Daniel von der Schulenburg lässt sich im Kontext des mitteldeutschen und norddeutschen Landadels als exemplarisch für den funktionalen und repräsentativen Anspruch barocker Herrenhausarchitektur einordnen. Analog zu anderen Adelsresidenzen dieser Zeit strukturierte sich der Nutzungstypus in Wohnfunktion, administrative Nutzung, Repräsentation, Sammlungstätigkeit und symbolisch-dynastische Verankerung.
Zentrum der Repräsentation war – wie in vergleichbaren Bauten, etwa Schloss Hundisburg, Schloss Dornburg oder Schloss Burgscheidungen – die bel étage, die erste Etage des Hauptflügels. Diese diente der Hofhaltung im kleinen Maßstab und war architektonisch durch höhere Decken, axial ausgerichtete Raumfolgen (Enfilade), reiche Ausstattung und Gartenbezug gekennzeichnet. Der Gartensaal in Angern befand sich dagegen im Erdgeschoss und nahm eine Sonderrolle ein, möglicherweise dem direkten Zugang zur Parterregestaltung geschuldet. Der eigentliche corps de logis, der sogenannte Obere Saal, war mit 4,50 m Raumhöhe der höchste Repräsentationsraum des Hauses und erfüllt funktional die Rolle des salon d’apparat.
Der Obere Saal war gemäß Inventar vollständig mit Bildwerken ausgestaltet: Neben Supraporten mit chinoisen Motiven fanden sich großformatige Landschaften, batailles, mythologisch-allegorische Darstellungen (z. B. Diana, Schäferszenen), Tierstillleben, Genredarstellungen, Küchenstücke und venezianische Veduten. Diese Ausstattung entspricht dem für das mittlere 18. Jahrhundert typischen Konzept einer “Galleria” im Sinne einer semi-öffentlichen Sammlung, die der Bildung, Repräsentation und Demonstration des Sammlungshorizonts diente. Vergleichbare Ensembles finden sich etwa in Schloss Etelsen (Niedersachsen), Schloss Ettersburg (Thüringen) oder in adligen Palais des märkischen Adels.
Auch die Möblierung folgt bekannten Typologien: Rohrstühle (Berliner Arbeit), Sitzmöbel im Régence-Stil, Rollos aus gestreifter Leinwand sowie Tische aus Nussholz und Linde verweisen auf eine modisch aktualisierte, aber zugleich regionale Ausstattungspraxis. Die Gestaltung verweist auf eine Funktionsmischung von Audienzraum, musischem Salon und Sammlungsraum, analog etwa zum Gartensaal im Schloss Oranienbaum oder zum Festsaal im Schloss Dieskau. Im Unterschied zu großfürstlichen Residenzen wie Schloss Pillnitz oder Schloss Moritzburg, deren Nutzung stärker zeremoniell und höfisch institutionalisiert war, spiegelt sich in Angern das Nutzungsmuster eines gutsherrlich dominierten Residenzhauses des altmärkischen Landadels: Die Raumfunktionen dienten primär der repräsentativen Selbstvergewisserung, nicht der Repräsentation vor fremdem Hof.
KI Rekonstruktion eines Appartments um 1745
Die Appartements de parade und appartements de commodité (repräsentative und private Wohnbereiche) waren in Angern nicht vollständig voneinander getrennt, sondern funktional verschränkt. Kabinette mit Sammlungen, Schlafräume mit Baldachinbetten à la Duchesse, Damasttapeten und Mobiliar aus Nussholz entsprachen dem typischen Wohnstandard des niederen Hochadels der Zeit. Vergleichbare Funktionsräume und Ausstattung finden sich in den Landhäusern der Familien von Alvensleben, von Bismarck oder von der Marwitz.
Christoph Daniel von der Schulenburg
Die Verwaltungsräume – darunter Archiv, Gerichtsstube, Kanzlei – befanden sich in Angern in den Seitenflügeln und im Erdgeschoss. Diese räumliche Zuordnung entsprach dem gängigen barocken Schema, das das dominium (die administrative Herrschaft) architektonisch unterhalb des domicilium (des Wohnbereichs) verortete. Das Herrenhaus war zugleich das Zentrum der Grundherrschaft, eingebunden in den Gutsbetrieb, Pachtverwaltung und Rechtsprechung in der Form der Patrimonialgerichtsbarkeit.
Eine Sonderrolle nahm das Kabinett des Schlossherrn ein, das Waffen exotischer Herkunft, diplomatische Gaben und Erinnerungsstücke enthielt. Diese “Chambre des armes” oder auch Wunderkammer im Miniaturformat entsprach dem sammlerischen Interesse eines Offiziers im ausländischen Dienst – in diesem Fall eines Generals im sardischen Heer. Die parallele Existenz von Bildnissen europäischer Monarchen im selben Raum verweist auf ein Selbstbild als transnational gebildeter, königsnaher Diener, wie es der Hochadel des Ancien Régime pflegte.
Nicht zuletzt ist die Einbindung des Schlosses in eine sakrale Erinnerungslandschaft hervorzuheben. Die Stiftung zur Wiederherstellung der Dorfkirche und die dortige Kniestatue Christoph Daniels stehen in der Tradition barocker Stifterikonographie. In Verbindung mit der genealogischen Kontinuität (Integration des alten Burgturms) repräsentierte das Schloss Angern den Typus des dynastisch fundierten Gutsherrensitzes, dessen Nutzung sich am Ideal des domus maior orientierte.
Insgesamt erweist sich die Nutzung des Schlosses Angern um 1745 als typisch für ein barockes Gutshaus des niederen Hochadels in Brandenburg-Preußen: repräsentativ, funktional gegliedert, sammlerisch geprägt, symbolisch aufgeladen – aber stets im Spannungsfeld zwischen weltläufiger Ambition und lokaler Herrschaftsausübung.