Das 19. Jahrhundert
Schloss Angern, über 500 Jahre im Besitz der Familie von der Schulenburg, erlebte bauliche Veränderungen im 19. Jahrhundert, Enteignung 1946 und Rückkauf 1996.
Wandel
Wirtschaft, Gesellschaft und Infrastruktur (1800–1905) nach Wilhelm Lühe (Dorfchronik Angern):

Das 19. Jahrhundert brachte für die Dörfer Angern und Wenddorf tiefgreifende wirtschaftliche, gesellschaftliche und infrastrukturelle Veränderungen. Frühere agrarisch geprägte Strukturen wurden zunehmend durch technische Entwicklungen, institutionellen Ausbau und neue soziale Verhältnisse abgelöst. Die überlieferten Notizen und Chroniken dokumentieren eindrücklich die Übergangsphase von der Vormoderne zur Moderne.

In den ersten Jahrzehnten des Jahrhunderts waren Not, Naturkatastrophen und Epidemien vorherrschend. Die Jahre 1805/06 und 1846 etwa waren von schwerer Teuerung geprägt – Roggen kostete zeitweise 9 bis 10 Taler. Extreme Witterungslagen wie der verheerende Frost im Mai 1833 oder der strenge Winter 1844/45 führten zu Ernteausfällen und dramatischen Preissteigerungen. Choleraepidemien trafen Angern 1850 und erneut 1855. Auch politische Unruhen wie die Revolution von 1848/49 reichten bis in die Region: In Angern wurde eine republikanische Fahne aufgezogen, mehrere Fenster eingeschlagen, die Obrigkeit reagierte mit Maßnahmen gegen demokratische Gesinnung.

Zugleich entwickelte sich die ländliche Infrastruktur: 1830 bis 1840 wurden Separationen und Flurteilungen durchgeführt, die Besitzverhältnisse neu geordnet. 1842 erfolgte der Umbau des Schlosses. Die Jahre 1868–1869 markierten den Bau der Molkerei zwischen Angern und Dolle – ein Ausdruck der neuen genossenschaftlichen Organisation der Milchwirtschaft. Auch die Schulversorgung wurde ausgebaut, ebenso die Versorgung mit Dienstleistungen: 1881 erhielt Angern eine Postagentur, 1897 begann der Bau einer befestigten Chaussee zwischen Angern und Wenddorf.

Der wirtschaftliche und soziale Strukturwandel zeigt sich besonders deutlich im Wandel der Lebensweise: Statt Spinnrad, Butterfass und Webstuhl kennzeichnen nun Dreschmaschinen, Drillgeräte und Milchkübel die Arbeit. Die Butter wird nicht mehr im Haus geschlagen, sondern in der Molkerei verarbeitet – auf gemeinschaftliches Risiko. Die einst von Hand gesponnene Leinewand verschwindet, stattdessen entstehen neue Erwerbsformen, z. B. durch Holzhandel oder Lohnarbeit. Auch das Siedlungsbild verändert sich: Während die Einwohnerzahl konstant blieb, stieg die Zahl der Wohnhäuser deutlich. Die Landarbeiter strebten zunehmend nach eigenem Hausbesitz mit Garten, anstatt als Einlieger im Gesinde zu wohnen.

Eine prägende Rolle für das soziale Gefüge spielte das Ehepaar Edo Graf v.d. Schulenburg und Helene geb. von Schöning. Sie bewohnten das Schloss von 1821 bis zum Tod der Gräfin im Jahr 1901 bzw. des Grafen 1904 und galten als geachtete Wohltäter. Die Gräfin war für ihre Fürsorge gegenüber Armen, Kranken und Einsamen bekannt. Ihr Leitspruch – „Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten“ – wurde zur Inschrift ihres Leichentuchs. Graf Edo galt als rastloser, aufrechter Landadeliger mit engem Bezug zur Gemeinde. In den Nachrufen wurde er als „einer der Besten“ seiner Familie gewürdigt.

Insgesamt spiegeln die Ereignisse des 19. Jahrhunderts den tiefgreifenden Wandel wider, den die Region Angern und Wenddorf erlebte: von der Not und Instabilität der Napoleonzeit über technische Innovationen und gesellschaftliche Neuorientierung bis hin zur Konsolidierung unter preußischer Verwaltung. Die lokale Geschichtsschreibung bewahrt diesen Prozess als Teil einer kollektiven Erinnerungskultur.
1807

Während des Friedens von Tilsit im Jahr 1807 wurde Angern Teil des Königreichs Westphalen, das unter der Herrschaft von Jérôme Bonaparte, dem Bruder Napoleons, stand. Diese Zeit war geprägt von weitreichenden Reformen, die durch den Einfluss des französischen Code Civil initiiert wurden. Eine der bedeutendsten Veränderungen war die Aufhebung der Leibeigenschaft, die den Bauern erstmals persönliche Freiheit und Rechte gewährte.

Diese Reformen hatten weitreichende Auswirkungen auf die Region um Angern. Sie führten zur Entstehung einer selbstständigeren Landbevölkerung und legten den Grundstein für eine moderne Landwirtschaft. Gleichzeitig wurde durch die Einführung des Code Civil das Rechtssystem reformiert, das erstmals eine einheitliche Gesetzgebung schuf.

Die Integration Angerns in das Königreich Westphalen war jedoch nur von kurzer Dauer. Nach der Niederlage Napoleons in der Schlacht bei Leipzig im Jahr 1813 und dem Ende der französischen Herrschaft kehrte Angern wieder in die Zuständigkeit Preußens zurück. Die während der westfälischen Herrschaft eingeführten Reformen hatten jedoch einen bleibenden Einfluss auf die Entwicklung der Region.

Anno 1843–1849

Rund hundert Jahre nach dem Bau des ursprünglichen Schlosses ließ Edo Friedrich Christoph Daniel, Landrat des Kreises Wolmirstedt, umfangreiche bauliche Veränderungen vornehmen, um das Schloss Angern an die klassizistische Architektur der damaligen Zeit anzupassen. Die Umgestaltung erfolgte vermutlich unter der Leitung des renommierten Architekten Ludwig Persius, einem Schüler von Karl Friedrich Schinkel. Zu den Maßnahmen gehörte die Ersetzung des barocken Walmdachs durch ein modernes flaches Zinkdach und die Hinzufügung eines Mezzaningeschosses, das das Gebäude optisch erhöhte und der Architektur Eleganz verlieh.

Inspiration für die architektonischen Änderungen am Schloss könnte die von Persius entworfene Villa Schöningen in Potsdam gewesen sein, die er für Edos Schwiegervater, Kurd von Schöning, gegenüber dem berühmten Jagdschloss Glienicke errichtet hatte. Die Kombination aus klassizistischer Architektur und landschaftlicher Harmonie unterstrich den repräsentativen Charakter des Schlosses und seines Parks.

Als Teil der Neugestaltung wurde zudem ein englischer Landschaftspark mit einem prägnanten Fächerbeet angelegt, das vermutlich vom preußischen Gartengestalter Gustav Meyer entworfen wurde. Meyer, ein Schüler von Peter Joseph Lenné, war bekannt für seine Arbeiten im Bereich der Landschaftsarchitektur und gestaltete zahlreiche bedeutende Parkanlagen in Preußen. Das Fächerbeet wurde im Jahr 2023 unter Leitung von Dr. Klaus-Henning von Krosigk und Frau Christa Ringkamp aufwändig rekonstruiert.

Edo Friedrich Christoph Daniel verfolgte mit diesen Maßnahmen nicht nur ästhetische Ziele, sondern auch den Wunsch, das Schloss Angern als repräsentativen Familiensitz für kommende Generationen zu sichern. Die baulichen Veränderungen und die Gestaltung des Parks spiegelten den Anspruch der Familie von der Schulenburg wider, ihre regionale Bedeutung und ihren kulturellen Einfluss im Herzogtum Magdeburg und darüber hinaus zu manifestieren.

1863

Nach den Angaben zur Gebäudesteuer aus dem Jahr 1863 (Rep.H/51) war der Gutshof Vergunst wie folgt strukturiert:

Im Zentrum des Gebäudekomplexes an der Ostseite des Hofes befand sich das zweistöckige Wohnhaus für den Gutsinspektor. Das Erdgeschoss war massiv gebaut, während das obere Stockwerk aus Fachwerk bestand und von einem hohen Ziegeldach bedeckt wurde. Rechts davon, im Südflügel, lag ein einstöckiges Wirtschaftshaus mit einer Milchkammer, einer Waschküche und einer Knechtsstube. Weiter südlich schloss sich ein Brauhaus mit einem Heizungsanbau an. Der Ochsenstall im Südflügel bot Platz für 30 Tiere.

Hinter diesem Gebäude lag ein Garten, der durch eine Feldsteinmauer begrenzt wurde. Diese Mauer erstreckte sich vom Ochsenstall neben der Hofeinfahrt bis an den Amtsteich. Rechts von der Einfahrt befand sich der Kuh- und Rinderstall für etwa 90 Tiere. Auf der Giebelseite des Stalls waren Wohnungen für zwei Familien untergebracht. Gegenüber, auf der anderen Seite des Hofes, stand der Pferdestall mit Platz für 30 Pferde und einem angrenzenden Wagenschuppen. Die vierte Seite des Hofes wurde durch eine große Scheune begrenzt. Hinter der Scheune lag der sogenannte Klebergarten, der etwa 1 Morgen groß war.

Die Ställe und die Scheune bestanden aus Fachwerk mit Ziegeldächern. Im Jahr 1872 wurde die alte Scheune abgerissen und durch einen massiven Bau mit Pappdach ersetzt. Auch der Schweinestall war massiv gebaut und hatte einen Taubenturm, der zentral auf dem Hof stand.

1887

1887 erhielt Angern einen Bahnanschluss, und im Dezember 1898 wurde das Gut an die Firma Friedrich Loß & Co. in Wolmirstedt verpachtet, die es ab 1899 bewirtschaftete. Ab 1900 entstanden Arbeiterkasernen, ein Kühlhaus und ein Maschinenschuppen. Die Schäferei war ein separater Gehöftbereich mit großen Schafställen, darunter ein Stall für 900 Tiere.

Im Jahr 1906 umfasste das Fideikommiss Angern 1066 Hektar, einschließlich Angern-Vergunst und Althansensteil. Bis 1913 wuchs der Besitz auf 1663 Hektar an, einschließlich verpachteter Forst- und Landwirtschaftsflächen.

Stiftungen
Gemäß Wilhelm Lühe (Dorfchronik von Angern und Wenddorf) engagierte sich die Familie von der Schulenburg im 19. Jahrhundert durch zahlreiche Stiftungen für die Armen in Angern und Wenddorf. Bereits 1797 verfügte die Eleonore Gräfin von der Schulenburg Zahlungen an bedürftige Gemeindemitglieder und Schulkinder. Weitere Legate folgten im 19. Jahrhundert, etwa von der verwitweten Gräfin Schulenburg (geb. von Cramm), (1827), Frau von Rohr (1847) und General von Flotow (1868). Besonders umfangreich war die Stiftung der Gräfin Helene von der Schulenburg im Jahr 1901, die Gelder sowohl für den Armenfonds als auch für die wöchentliche Verteilung erbaulicher Schriften bereitstellte. Diese karitativen Handlungen zeigen das soziale Verantwortungsbewusstsein des Landadels in einer Zeit fehlender staatlicher Sozialfürsorge.

In jedem Jahrhundert erlebt die Familie von der Schulenburg und das Haus in Angern bedeutende Veränderungen, doch sie lassen sich nie entmutigen – immer wieder gelingt ein entschlossener Neuanfang gemäß dem Leitsatz "Halte fest was Dir vertraut".

Bis 11. Jahrhundert, 12. Jahrhundert, 13. Jahrhundert, 14. Jahrhundert, 15. Jahrhundert, 16. Jahrhundert, 17. Jahrhundert, 18. Jahrhundert, 19. Jahrhundert, 20. Jahrhundert, 21. Jahrhundert.