Christoph Daniel von der Schulenburg und der Erwerb des Ritterguts Angern-Vergunst (1737–1739): Juristische, administrative und wirtschaftliche Konsolidierung eines altmärkischen Adelsguts: Die Quellen der Akte Rep. H Angern Nr. 336 im Landesarchiv Wernigerode bieten einen außergewöhnlich detaillierten Einblick in die Prozesse adeliger Güterpolitik des 18. Jahrhunderts. Sie dokumentieren die intensive Korrespondenz des Sekretärs Croon mit Generalleutnant Christoph Daniel von der Schulenburg im Kontext des Erwerbs und der wirtschaftlichen Neuordnung des Gutes Angern-Vergunst, das bis dahin im Besitz eines entfernteren Familienzweiges war. Der Kauf stellt den Abschluss jahrzehntelanger Besitzstreitigkeiten dar und markiert zugleich einen Wendepunkt in der Konsolidierung des altmärkischen Majorats Angern.
Hintergrund: Besitzverhältnisse in Angern vor dem Kauf
Angern war seit dem 15. Jahrhundert im Besitz der Familie von der Schulenburg, aufgeteilt auf mehrere Linien. Der sogenannte „Vergunstische Teil“ befand sich zuletzt im Besitz des Generalmajor Adolf Friedrich von der Schulenburg (Haus Beetzendorf) und war mehrfach Gegenstand familiärer Konflikte . Christoph Daniel, jüngerer Sohn aus dem Angerner Zweig, hatte durch seinen Dienst in der sardinischen Armee ein beachtliches Vermögen erworben und nutzte dies gezielt zur Reakquisition des familiären Besitzes. Nachdem er bereits 1734/35 die Güter Wenddorf und Bülitz übernommen hatte, wurde nun auch der Kauf von Vergunst in Angriff genommen.
Verlauf der Kaufverhandlungen (1737–1738)
Die Akte Rep. H Angern Nr. 336 bietet mit 37 nummerierten, zumeist chronologisch abgefassten Berichten eine außergewöhnlich dichte und detailreiche Überlieferung der Verhandlungen zum Erwerb des Ritterguts Vergunst durch Generalleutnant Christoph Daniel von der Schulenburg. Der zentrale Akteur dieser Verhandlungen war Oberamtmann Croon, der nicht nur als Berichterstatter und Bevollmächtigter, sondern auch als Diplomat, Finanzvermittler und juristischer Stratege agierte.
Bereits der erste Bericht vom 16. September 1737 zeigt, wie Croon in diplomatisch geschickter Weise eine Gesprächsstruktur aufbaute: Er traf sich in Tuchheim mit dem Hofrat des Verkäufers, um diskret über die Bereitschaft von Generalmajor Adolf Friedrich von der Schulenburg (Haus Beetzendorf) zum Verkauf des Gutes zu sondieren. Der Plan war, den Generalmajor bei seinem nächsten Aufenthalt in Angern durch einen angeblich „zufälligen“ Besuch des Hofrats zu einer Stellungnahme zu bewegen und dessen wahre Sentiments in Erfahrung zu bringen【Rep H 336:Nr.1】. Zunächst blieben jedoch konkrete Fortschritte aus, da sich der Generalmajor dem Verkauf offenbar widersetzte und sich mit seinem Pächter Schünemann zerstritten hatte. Croon deutete diesen Konflikt wiederum als strategische Chance, da er eine Verkaufstendenz implizieren könnte【Rep H 336:Nr.2】. Parallel dazu liefen Bemühungen, die juristischen Voraussetzungen für einen Lehnsübergang zu klären.
Ein entscheidendes Hindernis stellte die zustimmungspflichtige Mitbelehnung nach altmärkischem Lehnrecht dar. Croon musste die agnatischen Vettern (Mitbelehnten) der Familie von der Schulenburg einbeziehen, die formal ein Einverständnis zum Verkauf abgeben mussten. Besonders kritisch war dabei die Differenzierung zwischen der „weißen Linie“ (Angerner Linie) und der „schwarzen Linie“ (Beetzendorfer Linie). Croon hatte die besondere Fähigkeit, Informationen zu aggregieren, Verhandlungen zu führen und selbständig Entscheidungen im Sinne seines Prinzipals zu treffen – ein Paradebeispiel für delegierte Adelsverwaltung im 18. Jahrhundert. Er argumentierte erfolgreich mit dem pactum familiae - ein innerhalb der Familie von der Schulenburg verbindlicher Erbvertrag, der festlegte, dass alle Familienmitglieder wechselseitig Mitbelehnung und Gesamthand an den Lehen beanspruchen konnten, wodurch der Besitz dauerhaft im Familienverband gesichert und der Verkauf an Außenstehende verhindert wurde. Dadurch konnte er die Zustimmungspflicht auf die nächstliegenden Agnaten begrenzen und die Forderung nach umfassender Mitwirkung der schwarzen Linie entkräften【Rep H 336:Nr.12】.
Die Vertragsverhandlungen wurden durch eine Vielzahl kleinerer technischer und fiskalischer Fragen verzögert – etwa um die genaue Festlegung der Reservata (z. B. Jagdrecht, Gerichtsbarkeit, Allee, Burgveste), die Frage der Pachtanschläge oder die Rolle von Generalmajor von der Schulenburg als Verkäufer. Die Kaufsumme wurde auf 50.000 Reichstaler festgesetzt, wobei eine erste Teilzahlung in Höhe von 33.000 Talern in Louisd’or über ein internationales Bankennetzwerk abgewickelt wurde: Die Abwicklung begann beim venezianischen Bankier Johann Pommer, der als Ausgangspunkt des Transfers fungierte. Von dort aus wurde das Geld an das angesehene Leipziger Bankhaus Faber und Küstner (in den Quellen vereinzelt auch als „Kürtner“ bezeichnet) weitergeleitet. Die operative Durchführung des Transfers oblag Mr. Tissot, einem Bevollmächtigten Christoph Daniels, der gemeinsam mit einem Bruder des Banquiers Philipp du Mont am 21. Juni 1738 mit dem Geld in Magdeburg eintraf. Die mitgeführten versiegelten Beutel mit Goldmünzen wurden dort in zwei Fässer umgepackt und für die Auszahlung vorbereitet【Rep H 336:Nr.17】. Croon organisierte die Auszahlung selbst in Magdeburg, wo es zu einem letzten Zwischenfall kam: Der Verkäufer bestand darauf, das Geld im Hause des Geheime Rats von Haeseler zu empfangen, während Tissot – Schulenburgs Emissär – auf einer Übergabe im Quartier des Verkäufers bestand. Der Konflikt wurde durch Hinweis auf die unpräzise Formulierung im Zahlungsbefehl schließlich pragmatisch beigelegt【Rep H 336:Nr.17】.
Am 2. Juli 1738 fand schließlich die feierliche Übergabe des Gutes Angern-Vergunst statt. In einem „ganz solennen Actu“ wurden die Weiden gezählt, die Untertanen namentlich verlesen und die symbolische Huldigung vollzogen. Der Notar dokumentierte die Übergabe, und von Tresckow nahm in Vertretung Christoph Daniels den Huldigungseid entgegen. Abschließend hielt der scheidende Amtmann Lademann eine Abschiedsrede mit Anspielung auf den biblischen Text der Trennung Abrahams und Lots – ein Zeichen, wie stark die Handlung auch kulturell-symbolisch aufgeladen war【Rep H 336:Nr.17】. Die biblische Anspielung auf die Trennung Abrahams und Lots in der Abschiedsrede Lademanns war mehr als ein rhetorisches Stilmittel – sie fungierte als bewusste Selbstdeutung der Familie von der Schulenburg im Modus alttestamentarischer Erbteilung und markierte symbolisch die endgültige Abgrenzung der Angerner Linie gegenüber der Beetzendorfer Verwandtschaft, eingebettet in eine im frühneuzeitlichen Adelsdiskurs gängige Metaphorik genealogischer Legitimation.
Fazit: Der Verlauf der Kaufverhandlungen offenbart die gesamte Bandbreite frühneuzeitlicher adeliger Besitzpolitik – von vertraulichen Sondierungsgesprächen über familiäre Lehnsrechtsfragen bis hin zu grenzüberschreitender Finanzlogistik und symbolisch aufgeladenen Ritualen der Besitzübernahme. Der Erfolg der Unternehmung ist in hohem Maße dem taktischen Geschick von Croon und der finanziellen Souveränität Christoph Daniels zu verdanken. Der Erwerb war nicht nur eine Besitznahme, sondern ein Akt gezielter politisch-rechtlicher Konsolidierung dynastischer Macht in der Altmark.
Gut Vergunst in Angern, aufgenommen im 20 Jahrhundert
Das auf der historischen Fotografie abgebildete Gebäude von Gut Vergunst lässt sich baugeschichtlich in das späte 18. bis frühe 19. Jahrhundert datieren und stellt ein typisches Beispiel für die funktionale Architektur altmärkischer Gutsverwaltungen dar. Der zweigeschossige Fachwerkteil mit Mansardwalmdach und Zwerchhäusern verweist auf eine barocke Grundstruktur, die vermutlich im Zuge der Gutsübernahme durch Christoph Daniel von der Schulenburg ab 1738 angelegt oder modernisiert wurde. Die gleichmäßige Fensterachse, der verputzte Mitteltrakt sowie die angeschlossene eingeschossige Wirtschaftszone sprechen für eine schrittweise Umnutzung vom repräsentativen Wohnbau zur Verwaltungs- und Pächterstruktur. Vergleichbare Bauten finden sich in regionalen Gutshöfen wie Briest oder Wendgräben. In seiner Erscheinung ist das Gebäude Ausdruck der ökonomisch-pragmatischen Adelskultur im Zeitalter der Aufklärung und Gutskonsolidierung, bei der Repräsentation zunehmend in den Dienst von Effizienz, Kontrolle und sozialer Ordnung gestellt wurde.
Karte von Gut Vergunst aus 1740
Juristische Konsolidierung und Verwaltungsgestaltung
Der Erwerb des Gutes Vergunst durch Christoph Daniel von der Schulenburg war nicht lediglich ein wirtschaftlicher Akt, sondern beinhaltete zugleich tiefgreifende juristische und verwaltungsorganisatorische Veränderungen, die auf eine vollständige Eingliederung des neuen Besitzes in das bestehende Majorat Angern abzielten.
Zentral war dabei die Übernahme der lokalen Gerichtshoheit. Diese wurde in einem förmlichen Huldigungsvorgang vollzogen, der am 2. Juli 1738 unter Anwesenheit des Notars und der Untertanen stattfand. Christoph Daniel ließ sich dabei als alleiniger Gerichtsherr anerkennen, verbunden mit einem feierlichen Handschlag seitens der Gemeindemitglieder【Rep H 336:Nr.17】. Die feierliche Übergabe mit Handschlag, Huldigung und notarieller Beglaubigung war nicht nur ein juristisch notwendiger Akt, sondern Teil eines bewusst inszenierten Besitzrituals, in dem sich das factum des Eigentumserwerbs mit dem symbolum der öffentlichen Anerkennung durch die Untertanen verband – eine dichte Verbindung von Rechtsform, symbolischer Kommunikation und performativer Herrschaftsinszenierung, wie sie für die Legitimation frühneuzeitlicher Adelsherrschaft charakteristisch ist. Damit wurde die bislang durch Syndikus Meise verwaltete Jurisdiktion aufgehoben. Syndicus Meise war der juristische und administrative Vertreter des bisherigen Besitzers von Angern-Vergunst Generalmajor Adolf Friedrich von der Schulenburg. Nach dem Verkauf wurde er durch Christoph Daniels neue Verwaltung entmachtet und zur Übergabe der Gerichtsbefugnisse gedrängt. In den Berichten erscheint er als Vertreter der alten Ordnung, dessen zögerliche Haltung Croon mit dem entschlossenen Aufbau einer neuen, zentralisierten Gutsverwaltung kontrastierte. Croon teilte Meise in einem vorbereitenden Schreiben mit, dass ihm fortan keine Mitsprache mehr in Angern zustehe und er das Gerichtssiegel sowie die Akten zu übergeben habe【Rep H 336:Nr.16, Nr.25】. Die Neuregelung war jedoch nicht lediglich ein Austausch von Personen, sondern Teil eines übergeordneten Plans zur Reform der gesamten lokalen Rechts- und Verwaltungsstruktur. Croon, der sich in den Monaten nach dem Kauf faktisch als Gutsverwalter, Gerichtshalter und Bauleiter etablierte, ordnete die vollständige Vermessung des gesamten Gutsareals, einschließlich der Wiesen, Teiche, Gräben und Flurstücke an – ein Projekt, das auch dem Ziel diente, künftige Besitzstreitigkeiten zu vermeiden und einen präzisen Anschlag der Pachtgrundlagen zu ermöglichen【Rep H 336:Nr.27】.
Die Gerichtsverfassung sollte grundlegend überarbeitet werden: Christoph Daniel beabsichtigte, in Zukunft einen „aparten Gerichtshalter in loco“ zu etablieren, d. h. eine klar abgegrenzte und verlässliche juristische Instanz vor Ort. Zwar wurde Croon zunächst kommissarisch mit dieser Aufgabe betraut, doch war eine institutionelle Verstetigung vorgesehen【Rep H 336:Nr.17】.
Ein weiteres Element der Konsolidierung war die Verpachtung der beiden Güter an Amtmann Heinrichs, der aufgrund seiner bereits bewährten wirtschaftlichen Leistung als zuverlässiger Administrator galt. Neben seinen Aufgaben als Landwirt und Verwalter übernahm Heinrichs damit auch eine zentralisierte Funktion innerhalb des neuen Gutsverbandes, in der er sowohl wirtschaftlich als auch rechtlich agieren konnte – z. B. bei Streitigkeiten mit Pächtern, Hofleuten oder angrenzenden Besitzern【Rep H 336:Nr.1, Nr.14】.
Die juristische Durchdringung des Guts zeigte sich zudem in der Definition und Absicherung der sogenannten Reservata: Christoph Daniel ließ sämtliche hoheitlichen Rechte – Gerichtsbarkeit, Fischerei, Jagd, Allee, Burgveste – ausdrücklich aus der Pacht ausklammern und reservierte sie für die eigene Herrschaftssphäre. Auch das adlige Wohnhaus und die damit verbundene symbolische Autorität blieben in seinem direkten Besitz【Rep H 336:Nr.11】. In Summe zeigt sich, dass der Gutsankauf von Beginn an mit einer zielgerichteten juristischen Integration verbunden war, die auf drei Säulen ruhte:
- Souveräne Bestätigung der Herrschaftsrechte durch formale Akte (Huldigung, Siegel, Protokolle),
- Organisation einer zentralisierten Verwaltung unter einem loyalen Amtmann,
- Exakte juristische Vermessung und Definition von Nutzungsrechten mit langfristiger Planungsperspektive.
Pacht- und Wirtschaftsstruktur nach dem Erwerb von Vergunst
Nach dem erfolgreichen Erwerb des Ritterguts Angern-Vergunst im Jahr 1738 stand Christoph Daniel von der Schulenburg vor der Aufgabe, die neu vereinigten Güter nicht nur juristisch, sondern auch ökonomisch zu konsolidieren. Die entscheidende Stellschraube hierfür war die Auswahl eines geeigneten Pächters, der sowohl wirtschaftlich leistungsfähig als auch loyal gegenüber dem neuen Gutsherrn war. In dieser Hinsicht fiel die Wahl auf den bereits auf dem Gut tätigen Amtmann Heinrichs, der sich als außerordentlich geeignet erwies.
Auswahlkriterien und Charakterbeschreibung: In den Berichten des Sekretärs Croon wird Amtmann Heinrichs in fast hymnischem Ton beschrieben: als fleißig, wirtschaftlich klug, pünktlich, unbestechlich und volksnah, mit „Aversion gegen Schikanieren“ und „unermüdlicher Sorge für das Interesse seines Prinzipals“【Rep H 336:Nr.1】. Besonders hervorgehoben wird seine Fähigkeit, durch gezielte Meliorationen (Unkrautbekämpfung, Umpflügen brachliegender Flächen) die nutzbare Ackerfläche messbar zu steigern. Seine Popularität bei den Bauern galt als zusätzlicher Vorteil für die soziale Stabilität des Gutes.
Vertragsbedingungen und Konkurrenzsituation: Im Rahmen der neuen Pachtordnung erhielt Heinrichs das Angebot, beide Güter (Angern + Vergunst) ab Johannis 1738 für sechs Jahre zu einem freien Pachtzins von 3.650 Talern jährlich zu übernehmen – zuzüglich 2.000 Talern sogenannter Vorstandsgelder ohne Verzinsung【Rep H 336:Nr.14–15】. Dieses Angebot übertraf das bisherige Pachtverhältnis unter Schünemann, der mit rund 3.500 Talern veranschlagt war, deutlich. Schünemann hatte sich eigenmächtig Reservatrechte angemaßt und war deshalb in offenen Konflikt mit dem Generalmajor geraten – ein Umstand, den Croon gezielt als Argument nutzte, um im Zuge der umfassenden Reorganisationsmaßnahmen den verlässlichen und loyale Amtmann Heinrichs als neuen Pächter durchzusetzen, der nicht nur eine höhere Pachtsumme übernahm, sondern zugleich als Garant für die rechtskonforme Umsetzung der neuen Herrschaftsstruktur diente. Damit verbunden war auch Heinrichs Bereitschaft, die neuen Einkünfte aus Reservaten und Sondernutzungen separat zu entrichten, was zu einer klareren Trennung von Eigentums- und Nutzungsrechten beitrug【Rep H 336:Nr.7】. Bemerkenswert ist, dass es höher dotierte Bewerbungen gab – insbesondere von Regierungsadvokat und Kriminalrat Teller, der eine jährliche Zahlung von 3.800 Talern anbot. Dennoch wurde Heinrichs der Vorzug gegeben, da seine Verlässlichkeit, Erfahrung und soziale Einbindung schwerer wogen als der kurzfristige Mehrertrag. Ein dritter Bewerber, ein gewisser Schröder, wurde wegen mangelnder Bonität verworfen, obwohl er mit Schünemann verwandt war【Rep H 336:Nr.15】.
Abgrenzung der Herrschaftsrechte (Reservata): Ein zentrales Element der Pachtverträge waren die sogenannten Reservata – also jene Herrschaftsrechte und Güterbestandteile, die ausdrücklich vom Pachtverhältnis ausgenommen und im Besitz des Fideikommissherrn verblieben. Diese umfassten:
- die Holznutzung, wobei dem Pächter lediglich ein Deputat (z. B. 140 Klafter Eichen- und Erlenholz) zustand, der Rest jedoch jährlich etwa 150 Taler Ertrag für den Gutsherrn einbrachte;
- die Fischerei an den Burgteichen und zu Wenddorf;
- die Jagdrechte, wobei dem Beamten nur ein Deputat von 24 Hasen und 24 Hühnern zustand;
- das adlige Wohnhaus, sämtliche Nebengebäude und insbesondere die Burgveste;
- das Recht zur Anlage einer Allee auf herrschaftlichem Boden hinter dem Garten;
- die Ober- und Untergerichte sowie das jus patronatus, also das Recht zur Einsetzung des Pfarrers【Rep H 336:Nr.11】.
Messtischblatt von 1740 mit der erwähnten Allee hinter dem Garten
Diese gezielte Trennung von Nutzung und Eigentum diente nicht nur der ökonomischen Rationalisierung, sondern vor allem dem Schutz des Fideikommisses, das auf Dauer im Familienbesitz bleiben und rechtlich unangreifbar sein sollte.
Langfristige Perspektiven und wirtschaftliche Logik: Der Abschluss dieses Pachtvertrags mit Amtmann Heinrichs war nicht als kurzfristige Einnahmequelle gedacht, sondern als Element einer langfristigen Konsolidierungspolitik. Die relativ moderate Pachtsumme garantierte eine nachhaltige Bewirtschaftung ohne Überforderung des Pächters – ein wichtiges Kriterium, das Croon mehrfach betonte, als er höhere Angebote als „riskant“ und deren Anbieter als „Wagehälse“ bezeichnete【Rep H 336:Nr.16】. Zudem erlaubte die klare Definition der Reservata eine gezielte Sonderbewirtschaftung durch den Gutsherrn selbst, etwa im Bereich der Holzwirtschaft, der Wasserregulierung und der Bauentwicklung. Amtmann Heinrichs zeigte sich bereit, auch in infrastrukturellen Fragen – wie der Pflege von Gräben, der Trockenlegung versumpfter Wiesen oder der Verwaltung von Deputaten – eng mit der Gutsherrschaft zusammenzuarbeiten【Rep H 336:Nr.25, Nr.27】.
Zusammenfassend stellt das Pachtverhältnis mit Amtmann Heinrichs ein mustergültiges Beispiel frühaufklärerischer Gutsökonomie dar, das Rationalität, soziale Bindung und juristische Trennung von Besitz und Nutzung vereinte. Es war eng verzahnt mit der rechtlichen und infrastrukturellen Neustrukturierung des Gesamtguts Angern und trug entscheidend zur wirtschaftlichen Stabilität und dynastischen Sicherung der Schulenburgschen Besitzungen bei.
Infrastrukturprojekte und Ertragsoptimierung
Neben juristischer Konsolidierung und pachtvertraglicher Neuausrichtung widmete sich Christoph Daniel von der Schulenburg nach dem Erwerb des Gutes Angern-Vergunst mit erheblichem Nachdruck der baulich-infrastrukturellen Verbesserung seines Besitzes. Die erhaltenen Berichte von Croon zeugen von einem bemerkenswert systematischen Vorgehen, das in seiner Ausrichtung und Methodik Elemente einer frühkameralistischen Agrarreform aufweist – Jahrzehnte bevor diese durch Autoren wie Johann Heinrich Gottlob von Justi systematisch beschrieben wurden.
Flurvermessung und Rationalisierung der Nutzungseinheiten: Ein zentraler Schritt bestand in der vollständigen Vermessung des Stelldamms und der angrenzenden Wiesen, die bisher nur in Teilen kartiert gewesen waren. Im Winter 1738/39 ließ Croon das Gelände in 24 sogenannte „egale Haue“ unterteilen, was eine effizientere Verpachtung, eine gezieltere Pflege und die planmäßige Abholzung erlaubte【Rep H 336:Nr.27】. Damit wurde die Grundlage für eine langfristige Ertragssteigerung durch Flächennutzungskontrolle geschaffen. Zugleich wurde Angern insgesamt neu vermessen, da sich – wie Croon ausdrücklich betonte – seit der letzten kartografischen Erfassung „vieles geändert“ habe【Rep H 336:Nr.35】. Die Vermessung diente nicht nur der wirtschaftlichen Kalkulation, sondern auch der Herrschaftssicherung durch visuelle Kontrolle über Besitzgrenzen und Nutzungsverhältnisse.
Wasserwirtschaft: Gräben, Entwässerung und Schleusenbau: Ein wiederkehrendes Problem des Angerner Gutes war die hohe Bodenfeuchtigkeit und Überschwemmungsgefahr, insbesondere auf den Wiesen im Umfeld des Stelldamms und der Elbe. Aufgrund anhaltender Regenfälle standen ganze Flurstücke unter Wasser, was 1738 sogar dazu führte, dass „80 Morgen Wiesen versoffen“ und nicht genutzt werden konnten【Rep H 336:Nr.25】. Zur Lösung dieses Problems wurde zunächst der bereits unter dem Generalmajor begonnene „große Graben nach der Elbe“ reaktiviert und erweitert. Geplant war der Einbau kleiner Handschleusen, die das Wasser gezielt abführen sollten – ein einfaches, aber effektives System, das sich an traditionellen Wasserbauformen orientierte【Rep H 336:Nr.25】. Parallel prüfte man die Möglichkeit, auf den vom Wasser besonders betroffenen Wiesen durch Anlegen von kleinen Mühlen oder Grabenmühlen eine mechanische Entwässerung zu ermöglichen. Letztlich entschied man sich für einen kombinierten Ansatz aus Grabenausbau, Schleusenregulierung und selektiver Baumfällung, wobei sich Croon ausdrücklich auf die natürlichen Gefälleverhältnisse („das Wasser selbst ist die natürliche Wasserwaage“) berief – ein bemerkenswerter Verweis auf empirisch-ökologische Beobachtung【ebd.】.
Holzbewirtschaftung und Rodungsstrategien: Ein weiterer Fokus lag auf der Optimierung der Forstnutzung. Das bislang weitgehend unproduktive „Pallitsche Holz“ wurde 1738 inventarisiert: Croon zählte nur etwa 150–200 überwiegend abgestorbene Bäume, deren Nutzung sich auf die gelegentliche Schweinemast beschränkte. Stattdessen empfahl er, das Gebiet vollständig auszuroden und als Acker oder Wiese zu erschließen, woraus sich ein erwarteter Ertragszuwachs von 100 Talern jährlich ergab【Rep H 336:Nr.20】. Im extrem kalten Winter 1738/39 konnte endlich auch der seit Jahren „überfällige Halingsche Hau“ gefällt werden, was bislang durch das milde Wetter verhindert worden war【Rep H 336:Nr.33】. Das dabei gewonnene Holz wurde einerseits für den Eigenbedarf verwendet, andererseits am Markt abgesetzt – der Preis lag bei bis zu 35 Talern pro Schock, was die Waldwirtschaft zu einem eigenständigen Ertragsfaktor machte. Parallel dazu wurde auch über die gezielte Aufforstung nachgedacht: Croon ließ an unproduktiven Stellen Weiden pflanzen und plante einen erneuten Versuch mit Tannensaat, nachdem ein erster Versuch gescheitert war – vermutlich aufgrund fehlerhafter Ausführung【Rep H 336:Nr.25】.
Konzeptionelle Weitsicht und wirtschaftliche Systematik: In ihrer Gesamtheit lassen die beschriebenen Maßnahmen erkennen, dass es Christoph Daniel und Croon nicht um punktuelle Reparaturen ging, sondern um eine strukturierte Agrarreform im Sinne eines rationalisierten Gutsbetriebes. Charakteristisch dafür ist:
- die Kombination aus Vermessung, Kartierung und produktiver Umnutzung,
- die Integration ökologischer Faktoren (Feuchtgebiete, natürliche Gefälle),
- der Versuch, Holz, Wiesen und Teiche als planbare Einnahmequellen zu entwickeln,
- die Nutzung regionaler Marktpreise zur Bewertung von Eingriffen (z. B. Holzpreis, Pachtwert pro Morgen).
Zugleich zeigt sich der Anspruch, nicht nur kurzfristige Mehreinnahmen zu generieren, sondern das Gut substanziell aufzuwerten – ein Vorgehen, das man als proto-kameralistischen Rationalismus bezeichnen kann.
Fazit: Die infrastrukturellen und meliorativen Maßnahmen unter Schulenburgs Leitung markieren einen Übergang von der feudalen Besitzhaltung zur bewusst gelenkten Ertragswirtschaft, bei der Naturbedingungen, Rechtstitel, Technik und Marktmechanismen miteinander verschränkt wurden. Sie sind damit ein Beispiel für die stille Agrarrevolution des Adels vor der großen Agrarreformbewegung, die erst im späten 18. Jahrhundert ihren Höhepunkt erreichen sollte
Vergleich mit anderen Güterkäufen des 18. Jahrhunderts
Der Kauf des Gutes Angern-Vergunst durch Christoph Daniel von der Schulenburg hebt sich in mehrfacher Hinsicht von durchschnittlichen Adelserwerben der Zeit ab – sowohl hinsichtlich der Transaktionssumme, der Finanzierung als auch der strategischen Zielsetzung.
Höhe der Kaufsumme: Mit rund 50.000 Reichstalern lag der Kaufpreis erheblich über dem, was für ein mittelgroßes Rittersgut in der Altmark oder im Magdeburgischen üblich war. Vergleichbare Güter wie Altenhausen, Kuhfelde oder Flechtingen wechselten in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts meist für 15.000–30.000 Taler den Besitzer, abhängig von Bodenqualität, Infrastruktur und Reservaten【vgl. Danneil 1847; Adressbuch 1872】.Die vergleichsweise hohe Summe erklärt sich nicht nur durch den Umfang (zwei Dörfer, Fischerei, Jagd, Gerichtsbarkeit, Bauwerke), sondern auch durch die familiäre Konfliktlage, die Schulenburg durch diesen Kauf strategisch zu lösen suchte.
Internationale Finanzierung: Ungewöhnlich – und besonders aufschlussreich – ist die internationale Kapitalbewegung: Die Gelder wurden nicht aus Erträgen der eigenen Güter in Brandenburg aufgebracht, sondern aus Vermögen in Italien, insbesondere Turin und Venedig, über Banken wie Pommer, Faber & Küstner nach Leipzig transferiert【Rep H 336:Nr.11, Nr.17】. In vergleichbaren Fällen setzten Adlige häufiger auf lokale Kreditgeber oder nutzten Mitgiften aus Heiratsverträgen. Die Nutzung eines internationalen Bankennetzwerks deutet darauf hin, dass Christoph Daniel mit den Finanzstrukturen der europäischen Offizierselite bestens vertraut war – ein Effekt seiner militärisch-diplomatischen Laufbahn im Dienst des Königs von Sardinien.
Integrationsstrategie statt Expansion: Während viele adlige Käufer der Zeit (etwa im Bereich der Oberlausitz oder des Thüringischen) darauf abzielten, Güter neu zu erwerben, um den sozialen Status zu erhöhen oder eine standesgemäße Versorgung der Nachkommen zu sichern, diente der Kauf Angern-Vergunst in diesem Fall eindeutig einer innerfamiliären Konsolidierung. Christoph Daniel löste damit die jahrzehntelangen Rivalitäten mit der Beetzendorfer Linie auf, integrierte das umstrittene Teilgut in das eigene Fideikommiss und errichtete so die Grundlage für eine langfristige wirtschaftliche Stabilität seines Majorats. Diese Form der Besitzbereinigung ist in Brandenburg-Preußen häufiger in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zu beobachten, etwa bei der Familie von Bismarck in Briest oder den von Alvensleben in Hundisburg.
Fazit
Die in Rep. H Angern Nr. 336 dokumentierten Prozesse zeigen beispielhaft, wie ein Vertreter des aufgeklärten Adels seinen Grundbesitz rechtlich, wirtschaftlich und infrastrukturell konsolidiert. Christoph Daniel von der Schulenburg erscheint nicht nur als militärischer Akteur, sondern als souveräner Gutsbesitzer, der seine familiären und finanziellen Ressourcen gezielt einsetzt, um ein in die Krise geratenes Majorat zu stabilisieren. Die enge Verzahnung von Finanzflüssen (bis nach Turin und Venedig), lehnsrechtlichen Erwägungen und konkreter Bodenpolitik machen dieses Quellenkorpus zu einem herausragenden Zeugnis frühneuzeitlicher Adelsverwaltung in der Mark Brandenburg. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Erwerb des Gutes Angern-Vergunst exemplarisch für einen strategisch motivierten Adelsgutkauf mit internationaler Finanzierung steht – und sich in Preis, Abwicklung und Zweck deutlich vom typischen Provinzgutsverkauf unterscheidet.
Quellen
- Landesarchiv Wernigerode, Rep. H Angern Nr. 336 (1737–1739): Berichte Croons an Generalleutnant Christoph Daniel von der Schulenburg.
- Alexander Graf von der Schulenburg / Klaus-Henning von Krosigk: Das Herrenhaus in Angern, 2022.
- Johann Friedrich Danneil: Das Geschlecht der von der Schulenburg, Salzwedel 1847.
- Holger Brülls / Dorothee Könemann: Denkmalverzeichnis Sachsen-Anhalt, Band 10.2, Petersberg 2001.