Das tonnengewölbte Erdgeschoss des südlich an den Wehrturm anschließenden Nebengebäudes auf der Turminsel der Burg Angern stellt ein herausragendes Beispiel für die funktionale Kopplung von Wirtschafts-, Lager- und Versorgungsräumen im Kontext hochmittelalterlicher Wasserburgen dar. Die Anlage besteht aus zwei rechtwinklig zueinander angeordneten Tonnengewölben, die als baulich und funktional geschlossene Einheit konzipiert sind. Während der nördliche Gewölberaum mit dem Erdgeschoss des Wehrturms unmittelbar verbunden ist und wesentliche Merkmale der mittelalterlichen Bauphase bewahrt, wurde der südliche Raum im Zuge der barocken Umbauten im Jahr 1738 vollständig neu aufgemauert – infolge eines dokumentierten Höhenfehlers beim Bau des angrenzenden neuen Schlossflügels. Die dabei entstandene Absenkung des Gewölbeniveaus ist durch eine bauliche Stufe von ca. 38 cm bis heute nachvollziehbar.
Die räumliche Anordnung, der erhaltene Brunnenschacht und die interne Verbindung zum Bergfried belegen die strategische Ausrichtung auf eine autarke Nutzungseinheit innerhalb der Kernburg. Die Anlage diente nicht nur der Lagerung und Versorgung, sondern sicherte auch den internen Zugang zum Turm im Belagerungsfall. In ihrer baulichen Erhaltung und durch die dichte archivalische Überlieferung erlaubt die Gewölbegruppe eine außergewöhnlich präzise Rekonstruktion der ursprünglichen Nutzungskonzeption sowie der barocken Überformung.
KI Rekonstruktion des Bergfrieds mit Nebengebäude
Befund G1: Zwei Tonnengewölbe in T-förmiger Anordnung
Die Gewölbeanlage auf der Südinsel der Burg Angern besteht aus zwei rechtwinklig zueinander angeordneten, tonnengewölbten Räumen, die gemeinsam eine T-förmige Grundstruktur bilden. Der nördliche Raum, mit Ost-West-Ausrichtung, ist baulich direkt mit dem Wehrturm (Bergfried) verbunden. Der südliche Raum setzt das Kellergefüge in Nord-Süd-Richtung fort und bildete ursprünglich einen eigenständigen Funktionsraum mit Zugang zur Turminsel und eigenem Brunnenschacht.
Im Zuge der barocken Bauarbeiten wurde im Jahr 1737 festgestellt, dass das neue Schlossgebäude versehentlich zu tief gegründet worden war. Sekretär Croon berichtet am 16. September 1737 an Schulenburg:
„[…] da der Maurermeister das Haus 1 Fuß 4 1/2 Zoll tiefer gebauet […] der Hof vor dem Haus verniedriget werden muß, wodurch das Turmgewölbe nebst dem dabei stehenden Keller eingebrochen und verschüttet werden muß […]“ Gutsarchiv Angern, Rep. H Nr. 336, Nr. 1 (16. September 1737)
Dieses Zitat dokumentiert einen gravierenden Baufehler beim barocken Schlossneubau 1737. Diese Maßnahme führte zur heutigen baulichen Situation, bei der die Decke des südlichen Tonnengewölbes ca. 38 cm niedriger als die Anschlusskante zum barocken Hauptgebäude liegt. Der Niveauunterschied entspricht exakt dem genannten Höhenfehler (1 Fuß 4 ½ Zoll ≈ 38,5 cm) und ist am Übergang zum östlichen Kellerflügel noch klar ablesbar.
Tonnengewölbe 2 im Nebengebäude zum Bergfried mit neuer Gewölbedecke und Brunnenanschluss, links Absatz zum Hauptgebäude
„[…] die Gewölbe können konserviert werden, […] daß man die Decke […] ganz wieder neu schlüge und solche niedriger mache […]“ Gutsarchiv Angern, Rep. H Nr. 336, Nr. 4 (18. November 1737)
In diesem Folgebericht wird die Entscheidung dokumentiert, das Gewölbe nicht vollständig zu beseitigen, sondern mit flacherer Decke neu zu errichten. Die heute noch vorhandene Stufe von ca. 38 cm zur barocken Gebäudekante lässt sich damit direkt korrelieren. Statt das gesamte Gewölbe (wahrscheinlich der nördlichen Tonne und des Bergfrieds) sowie den benachbarten Graben zu entfernen, entschied man sich nach erneuter Prüfung für eine konservierende Lösung mit teilweiser Neuaufmauerung. Am 18. November 1737 schreibt Croon:
„[…] nachdem ich aber Ew. Exz. Sentiment eröffnet, so haben endlich H. Landbaumeister […] nach vielem Überlegen gefunden, daß der kleine Graben sowohl als die Gewölbe können konserviert werden, auf die Maße, daß man die Decke derer Gewölbe ganz wieder neu schlüge und solche niedriger mache.“ (Gutsarchiv Angern, Rep. H Nr. 336, Nr. 4)
Der heute noch erhaltene "kleine Graben" zwischen Hauptinsel und Turminsel mit Außenmauer des Bergfrieds (rechts)
„Böse sei aber der Meinung, es wäre unpracticabel, die alten Keller behalten zu wollen“ Gutsarchiv Angern, Rep. H Nr. 336, Nr. 7 (22. Januar 1738)
Dennoch äußerst sich Maurermeister Böse skeptisch gegenüber dem Erhalt der mittelalterlichen Keller. Das Zitat zeigt, dass die Kontroverse um Konservierung oder Abriss der Altstruktur intensiv geführt wurde – ein Beispiel für frühneuzeitliche Denkweisen zur Umnutzung älterer Bausubstanz. Immerhin hat es bis heute gehalten.
Die T-förmige Anlage dokumentiert somit zwei klar unterscheidbare Bauphasen: Der nördliche Raum gehört mit hoher Wahrscheinlichkeit zur hochmittelalterlichen Kernstruktur der Burg (14. Jahrhundert), während der südliche Raum 1738 vollständig in Ziegelbauweise neu aufgemauert wurde – unter partieller Einbeziehung älterer Wandabschnitte.
Die orthogonale Anordnung der beiden Tonnengewölbe ermöglichte eine funktional differenzierte Erschließung – zum einen in Richtung des Wehrturms, zum anderen zur übrigen Turminsel. Diese bauliche Gliederung entspricht dem in hochmittelalterlichen Wasserburgen häufig anzutreffenden Prinzip, Versorgungs-, Lager- und Rückzugsfunktionen in einem geschützten, internen Kellerkomplex zu bündeln. Die Ausbildung als abgewinkelter Verbindungskörper mit integrierter Wasserstelle (Brunnen) verweist auf eine gezielt geplante Mehrfachnutzung im Rahmen einer autarken Kernstruktur.
„[…] daß bei Einbrechung der Gewölbe sich eine Menge Steine gefunden, die man fast nicht zu lassen gewußt, annoch die Mauer im Garten hinter den Bauernhäusern entlängs davon gefertiget worden, welches dem Garten eine angenehme Zierde gibt […]“ Gutsarchiv Angern, Rep. H Nr. 336, Nr. 20 (9. November 1738)
Diese Quelle belegt, dass die beim Abtragen des alten Gewölbes (und wohl auch der oberen Etagen des Bergfrieds) anfallenden Baumaterialien – vor allem Bruchsteine – nicht entsorgt, sondern in die Gartenarchitektur des Gutes integriert wurden. Das Zitat illustriert den barocken Umgang mit Bauschutt als wertvolle Ressource, aber auch das bewusste Erinnern an ältere Strukturen durch landschaftliche Wiederverwendung.
Befund G2: Türöffnung vom nördlichen Tonnenraum zum Erdgeschoss des Bergfrieds
An der Ostwand des nördlichen Tonnengewölbes ist eine historische Türöffnung erhalten, die einen direkten Zugang zum Erdgeschoss des angrenzenden Wehrturms (Bergfried) ermöglichte. Die Öffnung ist in das Mauerwerk der Turmunterkante eingebunden und stellt eine gesicherte Verbindung zwischen Gewölberaum und Verteidigungsbau dar. Der Befund belegt eine interne, vor Witterung und Zugriff geschützte Bewegungsachse innerhalb der Kernburgstruktur, wie sie für Belagerungsfälle vorgesehen war. Die Erschließung erfolgte horizontal und ohne Außenkontakt, was den Wehrturm als isolierbare Rückzugseinheit funktional stärkte (siehe auch Befund F6).
Befund G3: Vermauerte Türöffnung in der Westwand des nördlichen Tonnenraums
In der Westwand des nördlichen Tonnengewölbes ist der Rest einer ehemals durchführenden Türöffnung erkennbar, die heute vollständig vermauert ist. Die lichte Breite und Riegelspuren deuten auf eine ebenerdige Verbindung zur westlich angrenzenden Hoffläche der Turminsel hin (siehe Befund F5). Die Schließung der Öffnung ist in Zusammenhang mit der barocken Geländeauffüllung zu sehen, bei der der Hofbereich bis zur Höhe der Gewölbedecke angehoben wurde. Der Befund dokumentiert eine Umnutzung der Gewölbeanlage und den Verlust eines ursprünglich außenliegenden Erschließungselements (siehe Befund F6).
zugemauerte ebenerdige Verbindung zwischen Tonnengewölbe und Turminsel
Befund G4: Vertikalschacht in der Westwand des nördlichen Tonnenraums
In der Westwand des nördlichen Tonnengewölbes ist ein vertikal verlaufender, sich nach oben verjüngender Schacht eingelassen. Die Schachtöffnung misst an der Basis ca. 70 cm Breite und verengt sich nach oben auf ca. 30 cm. Die Form, Lage und der konstruktive Anschluss an das massive Mauerwerk sprechen gegen eine Nutzung als Durchgang; stattdessen ist von einem gezielten Licht- und Luftschacht auszugehen. Der Befund weist auf eine baulich vorgesehene passive Belüftungs- und Belichtungseinrichtung hin, wie sie für abgeschlossene unterirdische Funktionsräume im Hochmittelalter nachgewiesen ist.
Schacht aus dem nördlichen Gewölbekeller zum zugeschütteten Innenhof
Befund G5: Brunnenschacht in der Ostwand des südlichen Tonnenraums
In der rückwärtigen (östlichen) Stirnwand des südlichen Tonnengewölbes ist ein vertikal geführter Brunnenschacht eingelassen, dessen Funktionstüchtigkeit bis in die Gegenwart erhalten ist. Die Lage innerhalb eines geschlossenen Kellerraums und die Nähe zum Wehrturm legen eine ursprüngliche Konzeption als versorgungsautarke Wasserstelle nahe. Der Schacht dürfte in das hochmittelalterliche Versorgungskonzept der Turminsel eingebunden gewesen sein. Archivalische Quellen aus dem Jahr 1738 (Rep. H Nr. 336, Nr. 19) belegen spätere Überlegungen zur architektonischen Überformung (Brunnenturm bzw. offene Schucke). Der Befund stellt ein selten überliefertes Beispiel für die Integration funktionaler Wasserversorgung in einen abgeschlossenen Wehrkomplex dar.
„[…] in dem Memoire von Ew. Exz. finde, daß solcher in Form eines Türmchens gemacht werden soll, es sagen auch alle, daß solcher durabler, alleine weilen einer mit einer Schucke zierlicher auf dem Hof stehet […]“ Gutsarchiv Angern, Rep. H Nr. 336, Nr. 19 (5. Oktober 1738)
Diese Passage bezieht sich auf die Debatte um die architektonische Ausgestaltung des Brunnenschachts. Zur Diskussion standen ein massiver Brunnenturm oder ein einfacher Ziehbrunnen mit „Schucke“ (Wippe). Der Verweis auf die Hofanlage zeigt, dass ästhetische und funktionale Gesichtspunkte gegeneinander abgewogen wurden – mit Blick auf die bereits vorhandene repräsentative Brunnenlösung im Innenhof.
Befund G6: Fensteröffnung an der Ostseite des südlichen Tonnengewölbes
In der Ostwand des südlichen Tonnengewölbes befindet sich eine schmale, trichterförmig nach außen verjüngte Fensteröffnung mit annähernd rechteckigem Lichtraum. Die Fensternische ist in das massive Mauerwerk eingeschnitten und gewölbt überspannt. Der Laibungsbereich zeigt einen deutlichen Putzauftrag, der nachweislich im Zuge der barocken Instandsetzung von 1738 erneuert wurde (vgl. Rep. H Nr. 336, Nr. 4). Auch der Rahmenbereich (Kantenfassung der Laibung, evtl. innere Blendrahmung) ist in barockem Putz gefasst. Die eigentliche Fensteröffnung selbst, einschließlich der Einbindung in das Mauergefüge und des trichterförmigen Zuschnitts mit starkem Wandrücksprung, entspricht typologisch und konstruktiv der hochmittelalterlichen Bauphase des 14. Jahrhunderts. Es handelt sich um ein tiefsitzendes, auf minimale Lichtführung optimiertes Funktionsfenster, wie es für Keller- oder Lagerräume von Wasserburgen dieser Zeitstellung typisch ist. Die ursprüngliche Form der Öffnung wurde beim barocken Wiederaufbau nicht verändert, jedoch überputzt und eventuell mit einer neuen Laibungsfasche versehen. Der Befund ist daher als bauzeitliche Fensteröffnung mit barocker Überarbeitung der Oberfläche zu bewerten.