Das Geschlecht derer von der Schulenburg ist eines der ältesten Adelsgeschlechter Deutschlands, dessen Wurzeln bis ins 13. Jahrhundert zurückreichen.
Ein Raum zwischen Gewalt und Vernunft. Wenn man das Kabinett Christoph Daniel von der Schulenburg betritt – so wie es das Inventar von 1752 beschreibt –, betritt man keinen bloßen Lagerraum für Waffen. Man betritt eine Zone der Verdichtung: eine Sphäre, in der Waffen und Bücher nicht getrennt, sondern miteinander verwoben existieren. Es ist ein Ort, an dem zwei scheinbar gegensätzliche Systeme – das der Gewalt und das der Vernunft – in eine produktive Spannung treten. Diese räumliche und semantische Verbindung macht das Kabinett zu einem der faszinierendsten Räume des Schlosses Angern: ein Archiv des tätigen Geistes.
Vom Gebrauch zur Bedeutung in der Sammlung Christoph Daniel von der Schulenburg
Im Zentrum jeder Waffensammlung des Adels im 18. Jahrhundert steht eine ambivalente Bewegung: Der Übergang der Waffe von einem funktionalen Instrument hin zu einem Repräsentationsobjekt. Diese Transformation ist kein bloßer Alterungsprozess oder materieller Verschleiß, sondern Ausdruck eines kulturellen Wandels – eines Verschiebens der Bedeutung von Handlung zu Erzählung.
In der Sammlung von Christoph Daniel von der Schulenburg ist diese Transformation besonders deutlich zu beobachten. Sie verläuft nicht zufällig, sondern lässt sich als bewusste Ordnung erkennen, in der das Biografische und das Symbolische untrennbar miteinander verschränkt sind.
Am deutlichsten sichtbar wird der Übergang bei jenem Paar kleiner Pistolen, das im Inventar schlicht als „welche Christoph ordin. hat“ beschrieben wird. Kein Verzierungsgrad, keine Herkunftsangabe, keine Widmung – lediglich der Verweis auf den persönlichen, alltäglichen Gebrauch. Es sind jene Waffen, die Christoph Daniel vermutlich während seines aktiven Militärdienstes am Gürtel, im Holster oder in der Satteltasche trug – nicht zu repräsentativen Zwecken, sondern zur Selbstverteidigung, zur Ehre, zum Kommando.
Ihre Aufnahme ins Kabinett dokumentiert den entscheidenden Schritt: Der Gebrauchsgegenstand wird zum Erinnerungsstück. Ihre Schlichtheit ist dabei kein Mangel – sie ist das Gütesiegel der Authentizität. Es sind keine Objekte, die gekauft wurden, um gesehen zu werden. Sie sind da, weil sie waren.
Eine Zwischenstellung nimmt der Musquetton mit Perlmutter und Elfenbein ein. Ursprünglich handelt es sich um eine Waffe mit militärischer Bestimmung – eine Kurzvariante der Muskete, geeignet für Reiter und leichte Truppen. In Schulenburgs Besitz jedoch ist der Musquetton kunstvoll veredelt: Perlmutter, Elfenbein, eventuell ein reich verzierter Schlossmechanismus.
Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass Christoph Daniel eine solche Waffe in jüngeren Jahren im schlichten Zustand führte – und dass die heute erhaltene Form eine spätere ästhetische Sublimierung des ursprünglich Funktionalen darstellt. Die Waffe wird damit zu einer „Narrativen Assemblage“: Das Erlebte wird nicht verklärt, sondern überhöht – in einer Form, die die Erfahrung konserviert und gleichzeitig stilisiert.
Der im Inventar genannte „Degen von Prineesbeck“ ist ein klassisches Beispiel für ein Objekt, das immer zugleich funktional und symbolisch war. In seiner aktiven Phase diente der Degen Schulenburg als Zeichen des Standes, der Wehrhaftigkeit und der Legitimation. Als General konnte er auf ein ganzes Arsenal militärischer Mittel zurückgreifen – doch der Degen war sein persönliches Signum.
Mit dem Ende der militärischen Laufbahn wird auch der Degen neu kontextualisiert. Er liegt nicht mehr in der Kaserne, sondern im Kabinett. Er dient nicht mehr der Abwehr, sondern der Erinnerung. Der Degen wird Teil eines ikonografischen Selbstporträts: ein Bild aus Dingen, in dem der Träger fortlebt.
Noch komplexer ist der Übergang bei den zehn Pistolenpaaren, die im Inventar folgen. Sie sind zwar funktionstüchtig, doch ihre Blaufärbung, Vergoldung, Silber- und Messingverzierungen, Gravuren und Signaturen zeigen unmissverständlich: Diese Waffen waren von Beginn an für die Repräsentation gedacht. Sie wurden nicht aus dem Gebrauch genommen – sie wurden niemals für ihn geschaffen.
Und doch ist ihre Repräsentationsfunktion eine eigene Form der sozialen Wirksamkeit: Eine mit Silber garnierte Pistole „à Turin“ ist ein tragbares Bündnisdokument. Eine pistole „Sig. Zanoni“ ein Zeichen internationalen Geschmacks. Insofern ist auch hier eine Funktion gegeben – allerdings eine, die nicht in der Praxis, sondern in der Performanz liegt: Das Zeigen, Tragen, Besitzen ist die Handlung selbst.
Die Tatsache, dass alle diese Objekte – von der gebrauchten Pistole bis zur vergoldeten Prunkwaffe – im gleichen Raum aufbewahrt werden, ist kein Zufall. Sie erzählen nicht nur verschiedene Geschichten, sondern sie erzählen sie gemeinsam. Sie formen eine Erinnerungsarchitektur, in der aus Aktion Bedeutung wird, aus Kampf Geschichte, aus Handlung Stil.
Der Übergang von Funktion zu Repräsentation ist dabei nicht als Verlust zu verstehen, sondern als Transformation. Die Waffe wird nicht nutzlos, sie wird bedeutungsvoll. Und im Raum des Kabinetts erhält sie einen neuen Auftrag: zu erzählen, zu erinnern, zu ordnen.
Christoph Daniel von der Schulenburg hat seine Waffen nicht nur geführt, sondern später bewusst angeordnet, aufgehoben, umgedeutet. Sie sind nicht vergessen – sie sind verwandelt. In ihrer neuen Rolle als Repräsentationsobjekte schreiben sie Geschichte: seine eigene.
Landesarchiv Magdeburg, Rep. H Angern Nr. 76: Inventarverzeichnis Schloss Angern, Januar 1752 .
Elias, Norbert: Über den Prozeß der Zivilisation, Frankfurt a. M. 1976.
Wüstefeld, Thomas: Kriegsgerät im höfischen Raum, in: Müller (Hrsg.): Waffen als Kulturgut, 2004.
Ebert-Schifferer, Sybille: Kunstkammern der Renaissance, München 2002.
Schulenburg, Alexander / v. Krosigk, Klaus-Henning: Publikation Angern, 2022 .
Christoph Daniel von der Schulenburg und die europäische Kultur des Waffen-Sammelns im 18. Jahrhundert
Im 18. Jahrhundert entwickelt sich innerhalb der europäischen Adelskultur eine hochdifferenzierte Praxis des Sammelns, die weit über das bloße Anhäufen von Objekten hinausgeht. Sie ist Ausdruck eines kulturellen Selbstverständnisses, in dem Besitz, Wissen und Repräsentation zu einer Einheit verschmelzen. Waffen – einst Werkzeuge der Fehde oder Jagd – werden in diesem Kontext zu Symbolen des Rangs, der Bildung und der Weltläufigkeit.
Auch Christoph Daniel Freiherr von der Schulenburg steht mit seiner Waffensammlung in dieser Tradition. Doch sein Kabinett in Angern folgt nicht einfach einem modischen Muster – es steht inmitten europäischer Konventionen und behauptet sich zugleich durch individuelle Prägung. Ein Vergleich mit herausragenden Sammlern seiner Zeit verdeutlicht, welche Formen des Sammelns er übernahm – und welche er bewusst transformierte.
Waffensammlungen galten im 18. Jahrhundert als legitime Ausdrucksform männlicher Standesidentität. Sowohl militärisch aktive als auch landsässige Adlige versammelten in ihren Schlössern Objekte, die ihre Loyalität gegenüber der Krone, ihre Teilnahme an Feldzügen oder ihr Jagdrecht sichtbar machten. In den Kunst- und Wunderkammern von Ambras (Ferdinand II. von Tirol), Dresden (Kurfürst August der Starke) oder Belvedere (Prinz Eugen von Savoyen) bildeten Waffen oft das Zentrum der Darstellung männlicher Tugend: virtus, fortitudo, militia.
Auch bei Schulenburg ist dieser Symbolwert zentral: Seine Sammlung beginnt mit einer Haubitze, umfasst mehrere Flinten und Pistolenpaare, dazu einen Degen, Jagdzubehör, aber auch Objekte wie einen türkischen Säbel – allesamt Ausdruck seiner Funktion als General, Ritter und Grandtourist .
In großen Höfen wurde das Waffensammeln systematisch betrieben und durch eigene Arsenalräume (etwa im Dresdner Zeughaus oder dem Berliner Zeughaus Unter den Linden) öffentlich zur Schau gestellt. Diese Sammlungen dienten nicht nur der Lagerung, sondern der Legitimation der Herrschaft durch Machtästhetik. Waffen wurden dabei oft mit Kunstwerken kombiniert – ein Degen neben einer Miniatur, ein Pallasch neben einer Weltkarte.
Schulenburgs Kabinett ist hingegen privater – kein Museum der Monarchie, sondern ein Raum adliger Selbstreflexion. Doch seine Ordnung, Materialwahl und internationale Auswahl stehen diesen großen Sammlungen in nichts nach. Insbesondere die fein differenzierten Pistolenpaare – von Turin bis Brescia – erinnern an die Kuriositätensysteme der Kunstkammerzeit, in denen die Vielfalt über die Funktion dominierte (vgl. Ebert-Schifferer 2002).
Ein besonders relevanter Vergleich ist Prinz Eugen (1663–1736), dessen Belvedere-Sammlung zahlreiche Prunkwaffen enthielt: vergoldete Pistolen, Damastklingen, osmanische Bögen. Auch er hatte in südlichen Feldzügen (Ungarn, Italien) gedient und sammelte vielfach Beutewaffen und diplomatische Geschenke. Besonders ausgeprägt war bei ihm der Bezug zur osmanischen Kriegsbeute, die er als Trophäen in seine Räume integrierte.
Auch Christoph Daniel verfügte über türkische Stücke – einen Säbel, ein Messer – und sammelte Waffentypen aus italienischer, spanischer und südfranzösischer Tradition. Seine Sammlung wirkt wie eine verkleinerte, personalisierte Version höfischer Sammlungsstrategien – mit stärkerem Fokus auf Erinnerung als Repräsentation.
Was Schulenburgs Sammlung von der seiner Zeitgenossen unterscheidet, ist die Verknüpfung mit dem eigenen Lebenslauf. Sie ist weniger ein Arsenal höfischer Ästhetik als ein Material der Autobiografie. Besonders deutlich wird das durch:
Die Benennung eines Pistolenpaars als „welche Christoph ordin. hat“ – ein Objekt des Gebrauchs, nicht der Repräsentation.
Die geordneten Typologien: zuerst militärisches Gerät, dann Flinten, dann Pistolen, dann Exotica – eine Art dramaturgischer Lebensgang.
Die Kombination mit den „12 ersten Cesars und ihren Gemahlinnen“ – eine Rückbindung an antike Vorbilder von Herrschaft, eingebettet in den Raum der Waffen.
Solch eine Sammlung ist kein bloßes Arsenal – sie ist ein Ethos in Objekten. Während andere Sammler möglichst exotisch oder kostspielig sammelten, sammelte Christoph Daniel erinnernd, biografisch, mit Maß.
Ein abschließender Blick in die Zukunft zeigt den Unterschied: Im 19. Jahrhundert wird das Waffensammeln zunehmend antiquarisch – Sammler wie der preußische General von Rauch oder Mitglieder der Berliner Waffenakademie legen Wert auf systematische Typologie, auf wissenschaftliche Erschließung. Christoph Daniels Sammlung dagegen steht am Ende der barocken Sammlungstradition: Sie ist persönlich, erzählend, eingebettet in die Lebensführung eines Einzelnen.
Christoph Daniel von der Schulenburg reiht sich ein in die lange Tradition europäischer Adelssammler – doch seine Sammlung unterscheidet sich durch ihren individuellen, lebensgeschichtlichen Fokus. Sie ist weder bloß Kriegstrophäe noch kunsthistorisches Kompendium, sondern eine in Waffen eingeschriebene Biografie. Und darin steht sie einzigartig zwischen den Sammlungen der großen Höfe – als private Erinnerungskultur in der Sprache der Macht.
Ebert-Schifferer, Sybille: Kunstkammern der Renaissance, München 2002.
Elias, Norbert: Über den Prozeß der Zivilisation, Frankfurt a. M. 1976.
Schulenburg, Alexander / v. Krosigk, Klaus-Henning: Publikation Angern, 2022 .
Landesarchiv Magdeburg, Rep. H Angern Nr. 76: Inventarverzeichnis Schloss Angern, Januar 1752 .
Wüstefeld, Thomas: Kriegsgerät im höfischen Raum, in: Müller (Hrsg.): Waffen als Kulturgut, 2004.
Funcken, Liliane & Fred: L’armement au XVIIIe siècle, Paris 1975.
„Verlorene Waffen – Die Sammlung Christoph Daniel von der Schulenburg (†1763)“
Eine digitale Spurensicherung barocker Waffen- und Erinnerungskultur
Christoph Daniel Freiherr von der Schulenburg (1679–1763), sardischer General und Bauherr des Schlosses Angern, hinterließ eine bemerkenswerte Waffensammlung, die 1752 detailliert im Inventar seines Kabinetts erfasst wurde. Nach Enteignung 1945 und Kriegswirren gelten viele Objekte als verschollen. Dieses Dossier dokumentiert die bekannten Stücke, ihren historischen Kontext und ruft zur Mithilfe bei der Identifizierung möglicher erhalten gebliebener Waffen auf.
Inventarverzeichnis vom 4. Juli 1752, Schloss Angern
Publikation Angern, Hrsg. Schulenburg/Krosigk, 2022
Kulturbergungsberichte (Moritzburg Halle, Landesarchiv Wernigerode, ULB Halle)
Dokumente zur Rückübertragung 2003 (Vermögensamt Sachsen-Anhalt)
Inventarnummer |
Objektbezeichnung |
Merkmale / Details |
Vermutete Herkunft |
Bemerkungen |
---|---|---|---|---|
— |
Musquetton mit Perlmutter und Elfenbein |
Kurzgewehr, verziert, evtl. sardinische Fertigung |
Piemont, Savoyen |
Feldwaffe, evtl. Geschenk |
— |
Degen von „Prineesbeck“ |
Offiziersdegen, möglicherweise signiert |
Deutschland / Österreich |
Symbolwaffe, evtl. in Porträts geführt |
— |
Pistolenpaar „Sig. Mastrieto“ |
Damastläufe, ital. Werkstatt, Signatur vorhanden |
Brescia oder Gardone |
Hohe Wahrscheinlichkeit für Wiedererkennung |
— |
Türkischer Säbel |
Kilij- oder Yatagan-Typ, osmanische Provenienz |
Balkan oder Istanbul |
Sammel- oder Beutestück |
— |
Hirschfänger mit Schildpatt und Vergoldung |
Schildkrötengefäß, Sammlerstück |
Norditalien? |
Höfischer Prunkgegenstand |
Eine vollständige Typologie mit 30+ Objekten ist im Inventarverzeichnis enthalten und kann auf Anfrage zur Verfügung gestellt werden.
Gravuren: „Sig. Mastrieto“, „Zanoni“, „Stornati“, „Boyer à Rolle“
Stil: katalanische, brescianische oder piemontesische Schlossformen
Materialien: Schildpatt, Damaszierung, Blauvergoldung
Waffenpaare mit figürlicher Verzierung oder Inschriften auf dem Lauf
Provenienz: Ankäufe vor 1945 aus Sachsen-Anhalt / Raum Magdeburg
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Dieses Dossier ist Teil eines größeren Projekts zur digitalen Rekonstruktion des Kabinetts Christoph Daniels im Schloss Angern. Ziel ist es, gemeinsam mit Museen, Archiven und Sammler:innen eine virtuelle Sammlung zu schaffen – als Denkmal adliger Kulturgeschichte und als Beispiel für eine dialogische Provenienzforschung im digitalen Zeitalter.
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Inventar als Spiegel einer geordneten Biografie
Das Inventar der Waffensammlung Christoph Daniel Freiherr von der Schulenburg aus dem Jahr 1752 wirkt auf den ersten Blick wie eine nüchterne Auflistung – doch seine Struktur verrät weit mehr als bloße Aufzählung. Die Art und Weise, wie die Objekte innerhalb des Gewehrschranks und Kabinetts aufgelistet sind, spiegelt nicht nur Schulenburgs Besitzverhältnisse, sondern seine Werte, Prioritäten und sein Selbstverständnis als General, Gutsbesitzer und Grandseigneur.
Die Ordnung folgt keiner alphabetischen, farblichen oder geografischen Logik, sondern einer semantisch-rhetorischen Dramaturgie, die sich lesen lässt wie ein stilles Selbstporträt – in Eisen und Ornament.
Das erste Stück im Gewehrschrank ist eine „Haubitze zu Grenaden“ – ein schweres, kriegerisches Instrument, das sofort die Aufmerksamkeit lenkt. Ihr Platz an erster Stelle ist kein Zufall: Die Sammlung beginnt laut, mit Macht. Sie verankert das Kabinett im martialischen Lebensabschnitt Schulenburgs, in seiner Laufbahn als sardischer General, in der Welt der Schlachten und Belagerungen .
Doch direkt darauf folgen keine weiteren Geschütze, sondern kunstvoll gefertigte Handwaffen – etwa der Musquetton mit Perlmutter und Elfenbein und die gezogene Kugelbüchse. Der Übergang von schwerem Kriegsgerät zu feingliedrigen, ornamentierten Stücken markiert eine Verschiebung: vom Kommando zur Kontrolle, von der Gewalt zur Geschicklichkeit. Es ist, als würde die Sammlung selbst erzählen: Ich habe befehligt – und ich habe verstanden.
Es folgt der größte Abschnitt der Liste – die Flinten. Nicht weniger als acht Flinten unterschiedlicher Herkunft, Bauweise und Dekoration sind aufgeführt. Italienische, spanische, „Cattal.“, teilweise zerlegbare oder mit farblich behandeltem Lauf. Der Reiz dieser Auswahl liegt nicht in der militärischen Potenz, sondern in der Vielgestaltigkeit.
Diese Vielfalt macht deutlich: Schulenburg war kein Waffennarr – er war ein Kenner. Die Flinten sind wie eine Galerie nationaler Waffenstile des 18. Jahrhunderts. Ihre unterschiedliche Herkunft verweist auf Schulenburgs Stationen in Savoyen, Piemont, dem Piemontesischen Kriegsschauplatz, aber auch auf diplomatische Kontakte und Präsente. Es ist die Typologie eines Weltbürgers mit militärischem Hintergrund.
Besonders bemerkenswert ist die Positionierung der „Flinte, die man zusammenlegen kann“. Sie steht im Zentrum der Liste – eine Waffe der Mobilität, des Reisens, des Übergangs. Sie markiert das Narrativ des Unterwegsseins, das Schulenburgs Biografie durchzieht.
Die dramaturgische Dichte erreicht ihren Höhepunkt mit der Nennung von nicht weniger als zehn Pistolenpaaren – jedes mit individueller Beschreibung, Herkunft oder Verzierung. Die Sprache verdichtet sich hier: „blau angelaufen“, „mit Silber garnierte Provincial à Turin“, „mit Kriegsarmaturen verzieret“, „Messing garnierte Sig. Stornati, auf die Läufe in Gold“. Es ist, als würde das Inventar in einen Klangraum der Differenzierung eintreten.
Pistolenpaare sind tragbare Repräsentationen. Sie zeigen Stand, Stil, Geschmack. Und ihre Ordnung im Inventar spiegelt das: Von der funktionalen Waffe („welche Christoph ordin. hat“) über diplomatische Prunkstücke bis zu Meisterstücken italienischer Waffenschmiedekunst. Die graduelle Steigerung von Funktion zu Finesse ist hier regelrecht komponiert.
Nach den Pistolen folgt ein kleiner Block von Einzelwaffen und Accessoires: ein türkischer Säbel, ein Hirschfänger mit Schildkrötengefäß, ein Degen, ein sardinisches Pulverhorn. Diese Stücke sind keine Alltagswaffen. Sie sind Signaturen – Trophäen, Geschenke, Erinnerungsobjekte. Ihre Platzierung am Ende verweist auf eine stille Geste: Diese Dinge sind nicht mehr Teil des Kriegs – sie sind Teil des Andenkens.
Sie bilden den emotionalen Ausklang der Sammlung, gewissermaßen das Nachglühen des Kriegerlebens. Hier ist Christoph Daniel nicht mehr General, sondern Erzähler seiner eigenen Laufbahn. Der letzte Abschnitt des Gewehrschranks ähnelt einem Schlusschor – leise, vielstimmig, versöhnlich.
Abseits des eigentlichen Gewehrschranks steht am Ende des Inventars ein weiteres, auf den ersten Blick unpassendes Objekt:
„in einer Schachtel […] 24 Stück vertable Antiquen“ – die zwölf ersten römischen Kaiser und ihre Gemahlinnen.
Diese Miniaturen bilden nicht nur eine Sammlung im engeren Sinn, sondern einen metaphorischen Rahmen für die ganze Waffenkammer. Denn mit ihnen macht Schulenburg deutlich: Ich stelle mich ein in die Reihe derer, die herrschten – nicht allein mit Waffen, sondern mit Ordnung, Maß und Erinnerung. Die Cäsaren sind nicht Dekoration, sondern Deutung.
Die Ordnung der Sammlung ist keine bloße Registratur – sie ist ein Narrativ. Der Gewehrschrank liest sich wie ein literarisch strukturierter Text: mit Exposition (Haubitze), Spannungsaufbau (Flinten), Klimax (Pistolenpaare), Epilog (Einzelwaffen) und Reflexion (Cäsaren). Er ist das Inventar eines Lebens, geordnet nach Bedeutung – nicht nach Maßstab.
In der Reihung der Objekte offenbart sich das, was Schulenburg über sich selbst zu sagen hatte: Ich war Soldat, Sammler, Weltreisender, Ästhet, und am Ende: Zeuge meiner eigenen Geschichte.
Landesarchiv Magdeburg, Rep. H Angern Nr. 76: Inventarverzeichnis Schloss Angern, Januar 1752 .
Ebert-Schifferer, Sybille: Kunstkammern der Renaissance, München 2002.
Elias, Norbert: Über den Prozeß der Zivilisation, Frankfurt a. M. 1976.
Schulenburg, Alexander / v. Krosigk, Klaus-Henning: Publikation Angern, 2022 .
Schilling, Lutz: Adlige Jagd im Alten Reich, Göttingen 1994.
Christoph Daniel im Feld
Zwischen den grünen Damasttapeten seines Kabinetts, den vergoldeten Hirschfängern, den verzierten Flinten aus Pistoria und dem sardinischen Pulverhorn ruhen auch jene Waffen, die Christoph Daniel Freiherr von der Schulenburg mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit selbst im Feld geführt hat. Sie sind weniger prachtvoll als andere, unscheinbarer in der Beschreibung, aber gerade dadurch umso aussagekräftiger: Es sind die Werkzeuge eines Mannes, der auf den Schlachtfeldern des Piemont stand, in sardischen Diensten kommandierte und seinen Rang nicht allein im Schreibzimmer errang.
Im 18. Jahrhundert war der Degen fester Bestandteil der Offiziersuniform – nicht nur Zier, sondern Zeichen der Wehrfähigkeit, des persönlichen Muts, der „ständischen Ehre“. In keiner Armee Europas hätte sich ein General ohne Seitenwaffe gezeigt; ein Degen war sowohl Verteidigungswaffe als auch Symbol – ein Stab ohne Insignie.
Der im Inventar genannte „Degen von Prineesbeck“ steht exemplarisch für diesen Typus. Ob es sich dabei um ein Erinnerungsstück oder eine tatsächlich geführte Klinge handelt, lässt sich nicht zweifelsfrei klären. Doch dass Christoph Daniel auf dem Feld einen vergleichbaren Degen trug – wohl schlicht, robust, aber elegant – steht außer Frage. Mit ihm inspizierte er Truppen, führte Besichtigungen durch, war präsent in Etappenorten und Lagern. Der Degen war dort, wo sein Träger war – ein körpernahes Bekenntnis zur Verantwortung.
Noch intimer wird die Beziehung bei jenem Paar kleiner Pistolen, das im Inventar schlicht als „welche Christoph ordin. hat“ bezeichnet wird. Sie sind nicht benannt, nicht verziert, nicht mit Herkunftsangaben versehen – und doch enthalten sie mehr Geschichte als manches Prunkstück.
Diese Pistolen dürften jenen Standardmodellen entsprechen, wie sie Offiziere zu Pferde im Sattelhorn führten: kompakt, zuverlässig, schnell zur Hand. Nicht für den Fernkampf gedacht, sondern für den Moment der Unmittelbarkeit – bei Patrouillen, bei Überfällen, beim Schutz diplomatischer Kuriere. Sie zeigen Schulenburg nicht als Sammler, sondern als Feldherr, der bereit war, selbst in prekärer Lage zu handeln.
In ihrer Schlichtheit offenbaren sie eine Wahrheit, die in vielen Kabinetten verschleiert bleibt: dass es Waffen gibt, die nicht ausgestellt werden sollen, sondern geführt wurden – und deren Patina der Abrieb gelebter Realität ist.
Als dritte Waffe kommt der Musquetton mit Perlmutter und Elfenbein in Betracht – ein scheinbarer Widerspruch: luxuriös und doch praktisch, kunstvoll und doch funktional. Es ist gut möglich, dass dieser Musquetton, der heute wie ein Sammlerstück wirkt, einst in schlichtem Zustand auf dem Feld geführt wurde – in Schulenburgs jüngeren Jahren, als er noch nicht General, sondern Hauptmann war.
Solche Kurzgewehre waren bei Reiterei und Stabsoffizieren beliebt: leichter als Musketen, schneller zu laden, kompakter zu tragen. Der Einbau von Perlmutter und Elfenbein könnte später erfolgt sein – als eine Art nachträgliche Nobilitierung durch Erinnerung. Die Waffe wurde nicht mehr getragen – sie wurde bewahrt, gleichsam geadelt durch das, was sie erlebt hatte.
Diese drei Waffen – der Degen, die kleinen Pistolen und der Musquetton – bilden das unsichtbare Zentrum der Sammlung. Sie sind nicht die prächtigsten, nicht die exotischsten, nicht die wertvollsten. Aber sie sind Zeugen der Bewegung, der Gefahr, der Verantwortung. Sie haben Marsch und Regen, Angst und Befehl erlebt. Und nun ruhen sie im Kabinett – verwandelt in Zeichen.
Wie bei vielen adligen Militärs des 18. Jahrhunderts ist auch bei Christoph Daniel die Verwandlung von Funktionsgerät in Bedeutungsträger der entscheidende Schritt: Aus der Waffe wird ein Erzählobjekt. Der Degen hängt nicht mehr am Gürtel, sondern ruht auf Damast. Die Pistolen werden nicht mehr geladen, sondern katalogisiert. Der Musquetton wird nicht mehr geschultert, sondern bestaunt.
Diese Metamorphose spiegelt einen tieferen Wandel: Jener Mann, der im Feld das Kommando führte, wird im Kabinett zum Kurator seines eigenen Lebenslaufs. Er selbst hat die Waffen nicht nur geführt – er hat auch entschieden, welche davon bleiben sollen. Nicht alle. Nur jene, die ihn wirklich ausmachten.
Schulenburg, Alexander / v. Krosigk, Klaus-Henning: Publikation Angern, 2022 .
Landesarchiv Magdeburg, Rep. H Angern Nr. 76: Inventarverzeichnis Schloss Angern, Januar 1752 .
Elias, Norbert: Über den Prozeß der Zivilisation, Frankfurt a. M. 1976.
Funcken, Liliane & Fred: L’armement au XVIIIe siècle, Paris 1975.
Wüstefeld, Thomas: Kriegsgerät im höfischen Raum, in: Müller (Hrsg.): Waffen als Kulturgut, 2004.
Von der Haubitze zur Historie – die 24 Cäsaren im Kabinett Christoph Daniels
Im Anschluss an die Waffensammlung, die Jagdutensilien und Reisegegenstände vermerkt das Inventar von 1752 eine kleine, beinahe unscheinbare Schachtel, die sich bei näherer Betrachtung als ideell bedeutsam erweist. Dort heißt es:
„ferner sind noch in einer Schachtel die 12 ersten Cesars mit ihren Gemahlinnen, in allem 24 Stück vertable Antiquen (24 pieces des Antiques represent les 12 Cesars et les 12 Cesarines).“
Es handelt sich dabei um 24 Miniaturen – möglicherweise aus Terrakotta, Wachs, Metall, Porzellan oder bemaltem Holz –, die jeweils einen der zwölf ersten römischen Kaiser von Augustus bis Domitian und ihre Ehefrauen darstellen. Der französische Titel „vertable Antiquen“ verweist vermutlich auf die Bezeichnung „véritables antiques“, also „echte Altertümer“ oder wirklich antike Figuren – eine Zuschreibung, die sich in barocken Kunstkammern oft auf imitierte oder idealisierte Repliken bezog.
Die römischen Cäsaren waren im 18. Jahrhundert keine bloßen historischen Gestalten, sondern politische Archetypen. In der Literatur, Architektur, Emblematik und Porträtkunst dienten sie als Spiegel des eigenen Standesbewusstseins – als positive oder negative Modelle der Herrschaft. Augustus symbolisierte Mäßigung und Staatskunst, Nero und Caligula standen für Maßlosigkeit und Willkür, Titus für Gerechtigkeit und Weisheit. Ihre Gattinnen, häufig als matronae Romanae stilisiert, verkörperten Tugenden wie Fruchtbarkeit, Loyalität, Pietas oder – im Fall von Messalina – auch Intrige und moralischen Verfall.
Miniaturensembles dieser Art finden sich in zahlreichen europäischen Sammlungen des 17. und 18. Jahrhunderts, etwa im Grünen Gewölbe in Dresden oder in der Kunstkammer des Erzherzogs Ferdinand II. in Ambras bei Innsbruck. Ihre Anordnung folgte einem didaktischen Prinzip – man konnte Geschichte „im Raum betrachten“, antike Biographien durch Formen und Materialien sinnlich erfassen (vgl. Sybille Ebert-Schifferer: Kunstkammern der Renaissance, München 2002).
Christoph Daniel, selbst ein hochgebildeter Militär, der lateinische Texte kannte und vermutlich antike Autoren wie Sueton oder Livius las, wird diese Figuren nicht als bloßes Kuriosum gesammelt haben. Sie standen für ihn als Genealogie politischer Erfahrung, eingebettet in die Vorstellung, dass auch seine eigene Vita – als General, Gutsbesitzer und Fideikommissstifter – in einem historischen Kontinuum stand.
Auffällig ist die konsequente Verbindung männlicher und weiblicher Figuren: Nicht nur die zwölf Cäsaren, sondern explizit auch ihre Ehefrauen werden dargestellt. Diese Entscheidung verweist auf das barocke Interesse an dynastischen Allianzen, ehelicher Tugend und weiblicher Rolle im höfischen System. Gerade in einer Zeit, in der der barocke Hofstaat auf dem Zusammenspiel männlicher Macht und weiblicher Repräsentation beruhte, waren solche Miniaturen mehr als Dekor – sie waren Schulmodelle höfischer Kultur.
Die Entscheidung, sie in einer „Schachtel“ aufzubewahren, legt nahe, dass sie nicht in einer Vitrine oder auf einem Kaminsims standen, sondern aufgeklappt und betrachtet werden konnten – wie ein mobiles Lehrstück oder ein persönliches Museum im Kleinstformat. Sie gehörten zu den intimen Objekten adliger Bildung, wie sie von Leibniz, Thomasius oder Bodmer im 18. Jahrhundert beschrieben wurden: klein, aber bedeutungsschwer.
Positioniert im gleichen Raum wie Musketen, Pistolen, Hirschfänger und ein grünsamtener Sattel, bilden diese Figuren eine semantische Kontrastfolie: Während Waffen für Handeln und Eingreifen stehen, symbolisieren die Cäsarenfiguren das Reflektieren über Macht, das Nachdenken über Herrschaftsgeschichte.
Der Raum wird so zum Mikrokosmos aristokratischer Lebensführung: Nicht nur Gewalt, nicht nur Prunk, sondern auch politisches Denken, Erinnerung und Kontemplation hatten hier ihren Platz. Die „Cesarines“ sind dabei keine Randfiguren, sondern – in barocker Manier – gleichwertige Symbole für die Mitverantwortung weiblicher Handlungsmacht innerhalb dynastischer Systeme.
Diese 24 Miniaturen sind mehr als ein kurioses Kabinettstück: Sie sind politische Ikonen in Miniaturform, Reflexionsmedien aristokratischer Weltdeutung. In der Verbindung von militärischem Gerät und antiker Figuration spiegelt sich ein barockes Selbstbild, das Krieg und Kultur, Macht und Maß, Herrschaft und Geschichte in einem privaten Raum zur Darstellung bringt.
Christoph Daniels Sammlung war somit nicht nur Zeugnis seines Weges, sondern auch Ausdruck eines historischen Bewusstseins, das Vergangenheit als Handlungsanleitung und Maßstab verstand – und das in Kaiser Augustus genauso einen Lehrer sah wie in der Ordnung eines preußischen Feldreglements.
Ebert-Schifferer, Sybille: Kunstkammern der Renaissance, München 2002.
Findlen, Paula: Possessing Nature: Museums, Collecting, and Scientific Culture in Early Modern Italy, Berkeley 1994.
Elias, Norbert: Über den Prozeß der Zivilisation, Frankfurt a. M. 1976.
Schulenburg, Alexander / v. Krosigk, Klaus-Henning: Publikation Angern, 2022 .
Landesarchiv Magdeburg, Rep. H Angern Nr. 76: Inventarverzeichnis Schloss Angern, Januar 1752 .
Sehr gerne – hier ist der ausgearbeitete Abschnitt zu:
Symbole des Dienstes, Trophäen der Erinnerung
Inmitten der Jagdwaffen, Prunkpistolen und exotischen Klingen seiner Sammlung verzeichnet das Inventar von 1752 auch ein Stück, das sich durch seinen unmittelbar kriegerischen Charakter deutlich abhebt: eine „Haubitze zu Grenaden“. In einem ansonsten vom Ornament und vom höfischen Stilwillen geprägten Ensemble nimmt dieses Geschütz eine Sonderstellung ein – es verweist auf das eigentliche Handwerk Christoph Daniel von der Schulenburgs: den Krieg.
Die Haubitze ist eine schwere, kurzrohrige Artilleriewaffe mit gebogenem Schussverlauf, die im 18. Jahrhundert insbesondere zum Verschießen von Granaten auf befestigte Stellungen diente. Die Bezeichnung „zu Grenaden“ zeigt, dass es sich um ein Modell mit gewölbter Flugbahn handelte – ein Instrument des Belagerungskrieges, konzipiert zur Bekämpfung von Deckungen, Mauern und innerstädtischen Zielen. Solche Waffen wurden üblicherweise nicht in Innenräumen aufbewahrt – ihr Vorhandensein im Kabinett weist unmissverständlich auf einen trophäenhaften Charakter hin.
Tatsächlich ist die Einbeziehung eines Artilleriestücks in eine private Sammlung kein Einzelfall: Schon im 17. Jahrhundert begannen europäische Feldherren, Beutegeschütze oder Modellhaubitzen in ihre Residenzen zu überführen – nicht nur als Andenken, sondern als monumentalisierte Spuren von Macht (vgl. Wüstefeld 2004: „Kanonen in den Kunstkammern“). Anders als Pistolen oder Degen konnte eine Haubitze nicht bei Hofbällen mitgeführt werden – sie wurde ausgestellt, oft in Verbindung mit Kartenmaterial, Uniformfragmenten oder Medaillen.
Christoph Daniel hatte sich in den Diensten des Königs von Sardinien durch mehrere Feldzüge ausgezeichnet. Seine militärische Laufbahn ist in Sardinien bis heute dokumentiert – unter anderem durch Patente, Gnadenbriefe und Lobschreiben König Viktor Amadeus’ II. (vgl. Schulenburg/Krosigk 2022). Dass er seine militärische Identität auch im privaten Rahmen visualisierte, ist Ausdruck des barocken Lebens in Inszenierungen – die Grenze zwischen Dienst und Darstellung war fließend.
In einer Zeit, in der der Offizier nicht nur Schlachten schlug, sondern auch Gast bei Hofe, Richter über Untertanen und Architekt seiner Ländereien war, musste sich seine militärische Kompetenz auch im Objekt widerspiegeln. Die Haubitze, so unhandlich sie im Raum wirken mag, erfüllt in diesem Kontext eine klare Funktion: Sie ist das epische Zentrum der Sammlung, der Ursprung aller nachfolgenden Rangzeichen – ohne sie blieben Pistolen und Hirschfänger bloße Accessoires.
Ein Vergleich zu ähnlichen Beständen – etwa der Artillerie-Sammlung des Prinzen Eugen von Savoyen im Belvedere oder der Geschützgalerie der Dresdner Rüstkammer – zeigt: Die Einbindung von Kriegsgerät in höfische Kontexte war ein bewusster Akt symbolischer Umcodierung. Der Zerstörungskraft wurde durch Einordnung ins Kunstvolle der Stachel genommen – aus dem Gerät der Verwüstung wurde ein Objekt der Bewunderung.
Im Schloss Angern wird dieser Gedanke räumlich vollzogen: Die Haubitze steht nicht auf einem Feld, sondern im Kabinett des Denkens und Betrachtens, zwischen Supraporten und Damast. Sie ist kein Werkzeug mehr, sondern Erzählung. Sie berichtet von einem Leben im Dienst, von Feldzügen und Belagerungen, vom Marsch durch Piemont und Savoyen – und von der Rückkehr in die Stille der Altmark.
Wüstefeld, Thomas: Kanonen in den Kunstkammern. Kriegsgerät zwischen Technik und Repräsentation, in: „Waffen als Kulturgut“, hrsg. von H. Müller, 2004.
Schulenburg, Alexander / v. Krosigk, Klaus-Henning: Publikation Angern, 2022 .
Landesarchiv Magdeburg, Rep. H Angern Nr. 76: Inventarverzeichnis Schloss Angern, Januar 1752 .
Elias, Norbert: Über den Prozeß der Zivilisation, Frankfurt a. M. 1976.