Die Ostseite der Hauptburg von Angern im Mittelalter – Palasfunktion und bauliche Ausgestaltung. Der Palas auf der Ostseite der Burg Angern bildete im Mittelalter das zentrale Element der Hauptburg und vereinte Verteidigungs-, Wohn- und Repräsentationsfunktionen in einem kompakten Baukörper. Seine bauliche Entwicklung, seine architektonische Struktur und die erhaltenen Befunde im Bereich der Kellergewölbe erlauben es, die Nutzung und Organisation einer hochmittelalterlichen Wasserburg exemplarisch nachzuvollziehen. Ziel dieser Untersuchung ist es, die ursprüngliche Funktion und Baugestalt des Palas in seiner mittelalterlichen Phase sowie die späteren Veränderungen bis in die frühneuzeitliche Umbauphase differenziert darzustellen.
KI generierte Ansicht des Palas der Burg Angern mit südlicher Ringmauer und Bergfried
Baugeschichtliche Entwicklung
Erste Bauphase (um 1340): Die Errichtung des Palas erfolgte zeitgleich mit dem Ausbau der Hauptburginsel im 14. Jahrhundert. Der Palas wurde direkt an die Nordmauer der Hauptburg angelehnt, ein für Wasserburgen dieser Zeit typisches Raumkonzept, das einerseits die Verteidigung begünstigte, andererseits den Platz auf der Insel effizient nutzte. Die Ostmauer der Burg diente zugleich als Rückwand des Gebäudes. Die vorhandenen Kellergewölbe mit Tonnengewölbe, einschließlich des Umkehrganges, sprechen für eine hochmittelalterliche Bauweise, die funktionale und wehrtechnische Anforderungen kombinierte (vgl. Schmitt 2005).
Der Palas der Burg Angern stellt ein außergewöhnlich gut dokumentiertes Beispiel hochmittelalterlicher Bau- und Nutzungskonzepte auf einer Wasserburg der Altmark dar. Die Kombination aus Verteidigung, Wirtschaftsnutzung und repräsentativer Architektur spiegelt die typischen Anforderungen an einen landadeligen Herrschaftssitz des 14. Jahrhunderts wider. Basierend auf der bauarchäologischen Analyse der erhaltenen Strukturen und im Vergleich mit zeitgleichen Burgen wie Ziesar, Lenzen und Beetzendorf lässt sich die ursprüngliche Gliederung und Funktion des Palas präzise rekonstruieren.
Lage und Gesamtstruktur des Palas der Burg Angern
Der Palas von Angern war entlang der Ostseite der Hauptinsel errichtet und maß etwa zehn Meter in der Breite sowie rund 35 Meter in der Länge. Er bildete sowohl baulich als auch funktional das Rückgrat der Hauptburg und lag strategisch unmittelbar am schmalen Wassergraben zur südlich vorgelagerten Turminsel mit dem Wehrturm. Die Ostmauer der Hauptburg fungierte zugleich als Rückwand des Palas – ein bauliches Konzept, das sowohl Flächeneffizienz als auch eine zusätzliche Verteidigungsfunktion ermöglichte (vgl. Schmitt 2005). Diese bauliche Disposition entspricht dem typischen Schema hochmittelalterlicher Wasserburgen, bei denen massive Palasbauten entlang der äußeren Befestigungsmauern errichtet wurden, wie es etwa bei der Bischofsburg Ziesar nachweisbar ist (vgl. Dehio Brandenburg 2000, S. 11).
Bedeutung innerhalb der Gesamtanlage
Der Palas war das architektonisch und funktional dominierende Element der Hauptburg von Angern. Er vereinte die zentralen Funktionen einer hochmittelalterlichen Burganlage – Repräsentation, Verwaltung, Verteidigung und wirtschaftliche Versorgung – in einem kompakten Baukörper. Durch die Integration aller Hauptfunktionen in einer einzigen, baulich klar gegliederten Struktur entsprach der Palas dem hochmittelalterlichen Ideal eines optimierten, multifunktionalen Herrschaftsbaus. Die bauliche Organisation der Burg Angern zeigt damit deutliche Parallelen zu anderen regionalen Wasserburgen wie Ziesar und Lenzen und spiegelt die allgemeine Entwicklung des Burgenbaus in der Altmark und im brandenburgischen Raum im 14. und frühen 15. Jahrhundert wider (vgl. Dehio Brandenburg 2000; Lütkens 2011; Bergner 1911).
Nutzung des Palas
Wohn- und Repräsentationsnutzung: Der Palas der Burg Angern bildete den zentralen Wohn- und Repräsentationsbau der Anlage. In hochmittelalterlichen Wasserburgen war es üblich, den Palas entlang einer Hauptmauer zu errichten, um Verteidigungs- und Wohnfunktionen effektiv miteinander zu verbinden. Die obere Etage diente dem Burgherren und seiner Familie als Wohn- und Aufenthaltsbereich und war zugleich Schauplatz repräsentativer Aufgaben wie Empfänge, Gerichtsverhandlungen und Verwaltungsakte. Durch die Lage entlang der Nordmauer der Hauptburg konnte der Burgherr die Zugangswege und das angrenzende Dorf unmittelbar überwachen, was die Verteidigungsfähigkeit der gesamten Anlage erheblich verbesserte. Vergleichbare Anordnungen finden sich bei der Burg Ziesar und der Burg Lenzen, wo der Palas ebenfalls strategisch entlang der Befestigungsstruktur positioniert war (vgl. Dehio Brandenburg 2000; Lütkens 2011).
Wirtschaftliche Nutzung des Erdgeschosses: Das Erdgeschoss des Palas, das durch tonnengewölbte Räume in massiver Bruchsteinbauweise geprägt war, diente vorrangig wirtschaftlichen Zwecken. Diese Räume lagen auf annähernd gleichem Niveau wie der Innenhof und waren nicht als Keller, sondern als begehbare Wirtschaftszonen ausgelegt. Die robusten Gewölbestrukturen boten ideale Bedingungen zur Lagerung von Vorräten wie Getreide, Wein und Salz. Durch kleine Fensteröffnungen zur Ostseite hin wurde eine gezielte Belüftung ermöglicht, die ein konstantes, kühles Raumklima sicherte und damit die Haltbarkeit der gelagerten Güter erhöhte. Die interne Erschließung der einzelnen Gewölbe über schmale Durchgänge – insbesondere den erhaltenen 180°-Umkehrgang – sowie der direkte Zugang vom Innenhof erleichterten die Versorgung, Lagerung und Verteilung der Vorräte erheblich. Derartige funktionale Strukturen sind für hochmittelalterliche Wasserburgen charakteristisch und lassen sich unter anderem auch an der Burg Beetzendorf nachweisen, wo ähnliche auf Wirtschaftlichkeit optimierte Erdgeschossgewölbe dokumentiert sind (vgl. Bergner 1911).
Aufbau und Nutzung der Geschosse
Erdgeschoss (Wirtschaftsebene): Das Erdgeschoss war vollständig in Bruchstein ausgeführt und bestand aus mehreren tonnengewölbten Räumen. Diese Gewölbe dienten ausschließlich wirtschaftlichen Zwecken: Vorratslagerung, Geräteeinlagerung und Schutz empfindlicher Güter. Die Böden bestanden aus gestampftem Lehm oder Sand, was eine natürliche Regulierung der Bodenfeuchtigkeit ermöglichte. Die Raumerschließung erfolgte über einen zentralen, tonnengewölbten Flur in Ost-West-Richtung, von dem sowohl der Zugang zum Umkehrgang in die nördlichen Wirtschaftsräume als auch zur südlichen Sandsteintreppe ins Obergeschoss abging. Ein schmal eingeschnittenes Fenster am östlichen Ende des Flurs erlaubte minimale Belichtung und Belüftung in Richtung Wassergraben. Der erhaltene 180°-Umkehrgang belegt die gezielt kontrollierte, verteidigungsgerechte interne Bewegung innerhalb der Wirtschaftsräume. Vergleichbare interne Verbindungssysteme sind aus der Burg Ziesar und der Markgrafenburg Salzwedel bekannt (vgl. Bergner 1911, S. 32f.).
Obergeschoss (Wohn- und Repräsentationsebene): Das Obergeschoss diente der Wohn- und Repräsentationsnutzung. Hier befanden sich die Aufenthaltsräume des Burgherrn, Verwaltungsräume sowie ein großer Saal, der vermutlich repräsentative Funktionen wie Empfänge, Gerichtsverhandlungen oder Urkundenausstellungen erfüllte. Die Bodengestaltung bestand wahrscheinlich aus einfachen Ziegelestrichen oder festgestampften Tonböden. Dielenböden aus Eichen- oder Kiefernholz wären typisch für private Wohnräume gewesen, wie sie auch für die Obergeschosse vergleichbarer Anlagen nachgewiesen sind (vgl. Dehio Brandenburg 2000). Fenster im Obergeschoss könnten zweibahnige Öffnungen gewesen sein, eventuell mit Butzenscheiben oder Pergamentbespannung, eine Ausstattung, die dem gehobenen, aber noch pragmatischen Standard landadeliger Burgen entsprach.
Dachgeschoss (Speicherzone): Über dem Obergeschoss befand sich ein einfaches Dachgeschoss, vermutlich als Speicher genutzt. Hier waren Vorräte und Material untergebracht, das schnell verfügbar sein musste. Die Dachkonstruktion dürfte ein schlichtes Sparrendach gewesen sein, mit hölzernen Dielenböden auf Balkenlagen.
Veränderungen und Umbauten
Die Zerstörung der Burg Angern im Jahr 1631 während des Dreißigjährigen Kriegs führte zu erheblichen Verlusten an der überirdischen Substanz. Bereits 1650 wurde im Rahmen einer Kirchenvisitation im Haus Heinrich von der Schulenburg festgestellt, dass kein funktionsfähiges Wohngebäude mehr vorhanden war. Die Visitationsprotokolle erwähnen jedoch ausdrücklich „die vier Keller und den alten Turm“ als erhaltene Bauteile (vgl. Dorfchronik Angern). Diese Angabe belegt, dass wesentliche Teile der mittelalterlichen Kellergewölbe – vermutlich noch in Bruchsteintechnik – die Kampfhandlungen überstanden hatten und als nutzbare Substanz erhalten blieben.
Auch bei der amtlichen Taxation im Rahmen des Konkursverfahrens Heinrichs von der Schulenburg im Jahr 1672 wurden die vier Keller und der ruinöse Turm erneut aufgeführt (vgl. Gutsarchiv Angern, Rep. H 79). Hinweise auf einen Wiederaufbau oberirdischer Wohngebäude fehlen zu diesem Zeitpunkt weiterhin. Vieles spricht dafür, dass die erhaltenen Gewölberäume in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts weiterhin genutzt, gegebenenfalls gesichert, aber nicht umfassend umgebaut wurden.
Ein bedeutender Eingriff in die Gewölbestruktur ist im Jahr 1737 belegt. Im Zuge der Planungen für den barocken Schlossneubau auf der Südinsel wurden die erhaltenen mittelalterlichen Keller überprüft. In einem Schreiben vom 18. November 1737 heißt es,
„daß der kleine Graben sowie die Gewölbe können konserviert werden, auf die Maße, daß man die Decke derer Gewölbe ganz wieder neu schlüge und solche niedriger mache“ (Quelle: Nr. 4, 18.11.1737).
Diese Passage macht deutlich, dass die mittelalterlichen Gewölbe nicht in Gänze ersetzt, wohl aber die Gewölbekappen vollständig erneuert wurden – offenbar in vereinfachter, flacherer Form. Es ist anzunehmen, dass dabei die älteren Bruchsteingewölbe durch neue Ziegelgewölbe ersetzt wurden, während die Mauerschale und das Grundniveau erhalten blieben.
westliche Außenwand des Palas (hinten) zum Innenhof mit Umkehrgang im nördlichen Gewölbe
Die heutige Bausubstanz bestätigt diesen Befund: Während die räumliche Struktur und Grundrisse der Gewölberäume stark an hochmittelalterliche Vorbilder erinnern, lassen Mauertechnik, Gewölbeschub und Materialwahl auf eine barockzeitliche Überarbeitung der Gewölbe selbst schließen. Besonders auffällig ist der Wechsel von unregelmäßigem Bruchstein zu regelmäßigem Backsteinmauerwerk in den Gewölbekappen, wie er auch in anderen Umbauten des 18. Jahrhunderts dokumentiert ist.
Insgesamt ergibt sich das Bild einer kontinuierlichen baulichen Nutzung der mittelalterlichen Kellerstrukturen, deren ursprüngliche Form durch die Kriegszerstörung beeinträchtigt wurde, deren Substanz jedoch bis ins 18. Jahrhundert fortbestand und gezielt in den barocken Neubaukontext überführt wurde. Die heute sichtbaren Ziegelgewölbe repräsentieren somit eine konstruktive Erneuerung auf mittelalterlicher Grundstruktur.
Schriftliche Quellen zum Palas der Burg Angern
Die ältesten Hinweise auf die Existenz eines größeren Gebäudekomplexes innerhalb der Hauptburg von Angern stammen aus den Konkursunterlagen Heinrichs von der Schulenburg aus den 1670er Jahren. In der amtlichen Taxation von 1672 werden mehrere “Keller” sowie der “baufällige alte Turm” erwähnt, was darauf hindeutet, dass nach den schweren Zerstörungen des Dreißigjährigen Krieges nur die massiven Sockel- und Gewölbebauten der Burganlage überdauert hatten (vgl. Gutsarchiv Angern, Rep. H 79), wie beispielsweise die massive westliche und nördliche Außenwand des Palas zum Innenhof mit Umkehrgang im nördlichen Gewölbe.
Weitere wichtige Hinweise ergeben sich aus den kartographischen Aufnahmen und Beschreibungstexten des 18. Jahrhunderts. In den Plänen wird die Hauptinsel als weitgehend neu überbaut dargestellt, während gleichzeitig die mittelalterliche Bausubstanz – insbesondere die Keller und das Turmgewölbe – als teilweise erhalten beschrieben wird (vgl. Gutsarchiv Angern). Zusätzlich liefert die Denkmaltopographie Sachsen-Anhalt (vgl. Dehio Brandenburg 2000) wertvolle Hinweise auf die typische Gliederung von Wasserburgen der Altmark, zu denen Angern in Anlage und Funktionsweise enge Parallelen aufweist. Ergänzende bauhistorische Vergleiche ergeben sich aus der Untersuchung der Burg Ziesar (vgl. Dehio Brandenburg 2000, S. 11) sowie aus den Befunden zur Burg Lenzen (vgl. Lütkens 2011) und der Burg Beetzendorf (vgl. Bergner 1911), wo ähnliche Nutzungs- und Strukturprinzipien für Palasbauten des 13. bis 15. Jahrhunderts belegt sind.
Fazit
Der Palas der Burg Angern dokumentiert exemplarisch den hochmittelalterlichen Typus eines landadeligen Sitzes: eine intelligente Kombination aus Verteidigung, Wirtschaftlichkeit und Repräsentation auf begrenztem Raum. Seine differenzierte Bauweise, die klare funktionale Gliederung und die gezielte architektonische Akzentuierung wichtiger Bauteile machen ihn zu einem bedeutenden bauhistorischen Zeugnis der Wasserburgenentwicklung im norddeutschen Raum.