Barocke Gartenkunst als Ausdruck von Ordnung, Nutzen und Repräsentation. Das barocke Gartenwesen des 18. Jahrhunderts war mehr als nur ein Ausdruck von Naturbeherrschung und ästhetischer Gestaltung. Es war Spiegel des Weltbildes, Symbol von Macht, Ort wirtschaftlicher Produktion und der Erziehung zur Ordnung. In seltenen Fällen liegen uns schriftliche Anweisungen zur praktischen Gestaltung solcher Gärten vor. Das sogenannte "Mémoire" von General Christoph Daniel von der Schulenburg, verfasst im Jahr 1745 für seinen Gutsgarten in Angern, stellt ein solches Dokument dar. Es umfasst 29 nummerierte Punkte und formuliert detaillierte Vorschriften zur Gestaltung, Nutzung und Pflege eines barocken Gutesgartens.
Zentrale Zielsetzung des "Mémoire" ist die Verbindung von Nutz- und Ziergarten unter dem Primat der Ordnung. Schulenburg teilt die Gartenflächen in funktionale Zonen: Fruchtquartiere, Laubengänge, eine Baumschule, ein Irrgarten sowie Beete für Gemüse, Blumen und Küchenkräuter. Jeder Bereich ist symmetrisch gegliedert und unterliegt strengen Pflegevorgaben. Pflanzen sollen in "Reihen und Regulier" stehen, hohe Gewächse im Hintergrund, niedrige vorn, stets nach einem planmäßigen System.
Besondere Bedeutung erhalten die Obstquartiere, die mit Kirschen, Birnen, Feigen, Pfirsichen und Walnüssen bepflanzt werden sollen. Es finden sich Hinweise zur Anlage von "Pyramiden", "Hutbäumen" und Spalieren. Die Fruchtbarkeit und der Ertrag der Bäume stehen im Vordergrund; unfruchtbare Bäume sollen entfernt und durch neue ersetzt werden. Die Pflege hat rationell und nach festgelegten Kalendern zu erfolgen, wobei das regelmäßige Beschneiden, "Ausschneiden" und "Umsetzen" der Bäume zentrale Aufgaben sind.
Neben der wirtschaftlichen Ausrichtung betont Schulenburg auch die repräsentative Funktion des Gartens. Der sogenannte Irrgarten sowie "grüne Cabinets" oder Laubengänge dienen dem Lustwandeln. Ihre Gestaltung unterliegt klaren ästhetischen Vorstellungen: Hecken sollen niedrig gehalten und Wege sauber gefegt sein. Der Garten ist damit sowohl Ort der Erbauung als auch der sozialen Distinktion.
Ein innovatives Element stellt die Baumschule dar, die als eigenständiger Bereich im Garten vorgesehen ist. Schulenburg beabsichtigt, den Ankauf junger Bäume aus Belgien durch eigene Anzucht zu ersetzen. Damit folgt er aufklärerischen Ideen der Selbstversorgung, der Rationalisierung und langfristigen Anlagepflege.
Das Dokument ist ein seltenes Beispiel barocker Gartenpraxis auf einem Gutsbesitz in der Altmark. Es vereint Elemente von ästhetischer Gestaltung, landwirtschaftlicher Nützlichkeit und moralischer Ordnung in einem ganzheitlichen Konzept. Damit gehört es zu den bedeutendsten überlieferten Gartenanweisungen Norddeutschlands aus dem 18. Jahrhundert.
Der Text offenbart zudem eine frühaufklärerische Rationalität: Der Gutsbesitzer möchte nicht von teuren Pflanzenimporten abhängig sein, sondern strebt die autarke Versorgung durch eine leistungsfähige Baumschule an. Die Pflege und Produktion von Nutzpflanzen wird als langfristiges, generationsübergreifendes Projekt verstanden, das nicht nur der momentanen Repräsentation dient, sondern der nachhaltigen Sicherung des Gutsbetriebs.
Das Mémoire steht in der Tradition barocker Gartenanleitungen wie das Werk La théorie et la pratique du jardinage (1709) von Dezallier d'Argenville oder später Christian Cay Lorenz Hirschfelds Theorie der Gartenkunst (1779–1785), unterscheidet sich jedoch durch seine Praxisnähe und seine Eingebundenheit in einen spezifischen Gutskontext. Es handelt sich nicht um ein generisches Lehrbuch, sondern um ein personales, ortsgebundenes Dokument mit exemplarischer Bedeutung für die Gutswirtschaft der Altmark. Durch seine handschriftliche Überlieferung und seinen Bezug zu einem noch heute erhaltenen Park ist das Mémoire von Christoph Daniel von der Schulenburg ein herausragendes Zeugnis barocker Gartenkultur abseits der bekannten Fürstengärten. Es zeigt, wie sehr gärtnerische Gestaltung mit sozialer Ordnung, Repräsentation, Wissensorganisation und landwirtschaftlicher Rationalität verbunden war.
Fußnoten
- Vgl. "Pro Memoria von dem Garten" von Christoph Daniel von der Schulenburg, Angern 1745, Transkription und Original im Gutsarchiv Schulenburg-Angern.
- Ebd., Punkt 3: "Alle Bäume müssen regulier stehen, der Frucht nach geordnet, und was alt und unnütz ist, abgeschafft werden."
- Ebd., Punkt 15–18: Ausführliche Beschreibung der Obstquartiere und der gewünschten Sorten.
- Ebd., Punkt 20: "Was zur Lust gehört, muss sauber gehalten und täglich durchgesehen werden."
- Ebd., Punkt 24: "Die Schule von Bäumen muss angelegt werden, damit nicht alles aus Belgien kommen muss."
- Ebd., Schlussteil: Schulenburg spricht von der Weitergabe dieser Anweisungen an künftige Verwalter und Gärtner.
- Dezallier d’Argenville, Antoine-Joseph. La théorie et la pratique du jardinage. Paris: Jean Mariette, 1709.
- Hirschfeld, Christian Cay Lorenz. Theorie der Gartenkunst. 5 Bände. Leipzig: Weidmanns Erben und Reich, 1779–1785.