Die Quellenlage und bauliche Befunde - Rekonstruktion einer hochmittelalterlichen Wasserburg. Die Burg Angern in der Altmark stellt ein selten erforschtes Beispiel für eine spätmittelalterliche Wasserburg mit außergewöhnlich gut erhaltener Geländestruktur und greifbaren Bauspuren dar. Errichtet im 14. Jahrhundert unter dem Magdeburger Erzbistum, blieb ihre ursprüngliche Funktionsgliederung – bestehend aus Hauptburg, Vorburg und separater Turminsel – trotz späterer Zerstörungen und barocker Überformungen bis heute in ihrer Grundstruktur nachvollziehbar geblieben. Die Umrisse der Gräben und die Insellage liefern eine seltene, anschauliche Grundlage für die topografische Rekonstruktion der spätmittelalterlichen Burgstruktur. Diese klare Dreigliederung – Wohnbereich, Wirtschaftsbereich und Wehrinsel – ist im norddeutschen Raum nur selten in solcher Klarheit überliefert. Das vorliegende Essay analysiert die archivalischen Quellen und baulichen Überreste und bewertet das Rekonstruktionspotenzial der Anlage im Vergleich mit regionalen Parallelbeispielen.
Archivalische Quellenlage
Die schriftlichen Zeugnisse zur Burg Angern reichen vom Spätmittelalter bis in das 19. Jahrhundert. Besonders aufschlussreich sind dabei:
- Das Gutsarchiv Angern, das umfangreiche Verwaltungs-, Bau- und Wirtschaftsunterlagen unter anderem aus dem 14. bis 16. Jahrhundert umfasst und eine wichtige Quelle für die Baugeschichte der Anlage darstellt. Die meisten hier verwendeten Quellen wurden von der Dorfchronistin Brigitte Kofahl transkribiert.
- Die Dorfchronik von Angern überarbeitet von Brigitte Kofal, die regionale Ereignisse, Umbauten und Besitzverhältnisse in lokaler Perspektive schildert.
- Karten und Messtischblätter ab dem 18. Jahrhundert, die zumeist den Zustand nach dem barocken Umbau wiedergeben, jedoch Rückschlüsse auf die mittelalterliche Struktur erlauben. In der Flurkarte von 1740 sind Mauerzüge erkennbar, die nicht dem barocken Grundriss entsprechen und auf ältere Strukturen hindeuten.
- Berichte aus dem Dreißigjährigen Krieg (u.a. zur Zerstörung durch das Holksche Regiment 1631), wenngleich ohne technische Detailangaben zur Beschädigung.
Die schriftliche Überlieferung zeichnet sich durch ihren Bezug auf die baulichen Gegebenheiten aus und ist in Teilen durch erhaltene Archivalien des Hauses Schulenburg sowie landesherrliche Verwaltungsakten überliefert.
Gelände der Hauptburg mit neuzeitlichen Brücken und Ausbesserungen
Bauliche Reste und Befunde
Die wichtigsten baulichen Zeugnisse (die Befunde im Einzelnen) der hoch- und spätmittelalterlichen Burg Angern sind:
- Erdgeschoss des Palas, teilweise aus grobem Bruchsteinmauerwerk errichtet, mit späterer Umwölbung aus Ziegeln im 18. Jahrhundert. Besonders hervorzuheben ist ein mittelalterlicher Umkehrgang, der die Raumerschließung ermöglichte. Zudem sind Werksteinfassungen an dem erhaltenen Eingangsportal dokumentiert, die auf die hochmittelalterliche Bauphase verweisen.
- Das Erdgeschoss des Bergfrieds, dessen monumentale Mauerstärke und eine schmale, nach Norden gerichtete Schießscharte auf eine funktionale Nutzung zur Verteidigung bis in das 17. Jahrhundert hinweist. Der Raum existiert noch, aber in Teilen überformt und baulich nicht vollständig erforscht.
- Erhaltene Tonnengewölbe südlich des Bergfrieds könnten das Fundament eines eigenständigen Nebengebäudes gewesen sein, vermutlich eines schlichten, eingeschossigen Funktionsbaus mit Bruchsteinsockel und leichtem Oberbau, der spätestens im Barock abgetragen wurde.
- Mauerabschnitte unter anderem an der Nordseite der Hauptburg, identifizierbar als Rest der ursprünglichen Ringmauer. Die Verwendung von Bruchstein und die Tiefe der Fensterlaibungen sprechen für ihre Einordnung in das 14. Jahrhundert.
Die Kombination aus archivalischer Überlieferung und baulichen Relikten erlaubt eine vergleichsweise dichte Rekonstruktion der Burg Angern im Zustand um 1350 und der Transformation bis zum barocken Schlossumbau ab 1735. Besonders hervorzuheben ist die Insellage mit separatem Bergfried, die in Norddeutschland selten nachweisbar ist. Die baulichen Befunde müssen im Detail weiter bauarchäologisch erschlossen werden, bieten aber bereits heute eine solide Grundlage für eine raumgeschichtliche und funktionale Deutung der Gesamtanlage.
1631: Zerstörung im Dreißigjährigen Krieg
Im Sommer 1631 wurde die Burg Angern während der Kampfhandlungen im Raum Magdeburg schwer beschädigt. Kaiserliche Truppen hatten die Anlage zunächst als Vorposten genutzt, bevor sie in einem nächtlichen Angriff durch das Holksche Regiment – eine Reitereinheit unter Heinrich von Holk auf Seiten der Kaiserlichen – überfallen und niedergebrannt wurde.
„Bei dem anschließenden Brand des Dorfes kam auch das Schloss zu Schaden. Nach einem alten Bericht blieben nur die beschädigte Brauerei, ein Viehstall ohne Dach und das ebenfalls beschädigte Pforthäuschen stehen.“ (Quelle: Dorfchronik Angern )
➔ Kommentar: Turm, Hauptburg und Ringmauer wurden offenbar nicht durch Artilleriebeschuss zerstört, sondern vermutlich infolge des Feuers, einstürzender Aufbauten und späterer Materialentnahme aufgegeben. Nur Nebengebäude und das Pforthaus überstanden den Brand.
1648: Westfälischer Frieden
Der Westfälische Frieden im Jahr 1648 beendete die Kämpfe offiziell, aber: Der Wiederaufbau setzte nicht sofort ein. Viele Regionen – auch Angern – litten noch jahrzehntelang unter wirtschaftlicher Not, zerstörter Infrastruktur und Bevölkerungsverlust. In Angern wohnte der Gutsherr Henning von der Schulenburg wohnte weiterhin unter schwierigsten Bedingungen auf den Resten der Burg - entweder im erhaltenen Brauhaus, im Pforthäuschen oder wahrscheinlicher in den noch erhaltenen Gewölben des Palas auf der Hauptburg.
1650: Kirchenvisitation
Eine Kirchenvisitation im Haus Heinrich von der Schulenburg wurde durchgeführt.
➔ Kommentar: Ein Hinweis darauf, dass sich langsam wieder eine kirchliche und administrative Struktur etablierte und ein bewohnbares Gebäude noch vorhanden war.
1650–1672: Neuanfang nach dem Krieg
Die Keller (gemeint sind die Gewölbe im Erdgeschoss des Palas) und der Turm blieben erhalten:
„Dafür werden aber die vier Keller und der alte Turm erwähnt.“ (Quelle: Dorfchronik Angern)
➔ Archäologischer Befund: Nördliche und westliche Außenwand des Palas (zum Innenhof) mit Umkehrgang und (1734 überformter) Treppe ins Obergeschoss des Palas erhalten. Erdgeschoss des Wehrturms mit Schießscharte und Tonnengewölbe unter den Ostflügel bis heute erhalten.【Befunde Palas】【Befunde Turminsel】
1672: Konkurs
1672 wurde der Konkurs erklärt, der gesamte Besitz taxiert und danach zur Versteigerung ausgeschrieben. Ein größeres Wohnhaus scheint nicht vorhanden gewesen zu sein. Außerdem war noch der alte Turm vorhanden, von dem es heißt:
„Worinne zwar viel Zimmer erbauet, allenthalben aber derselbe, absonderlich im Fundament, sehr baufällig und viel zur Reparatur kosten möchte, auch dem Besitzer fast mehr schädlich als zuträglich, so ist er hierbei in keinen Anschlag gebracht.“ (Quelle: Dorfchronik Angern )
➔ Kommentar: Der alte Turm war 1672 so stark verfallen, dass er wirtschaftlich als wertlos galt. Der Wiederaufbau der Burg erfolgte zunächst nur sehr notdürftig.
➔ Archäologischer Befund: Das erste Geschoss des Bergfrieds auf der Südinsel blieb vollständig erhalten【Befunde Turminsel】.
1680: Rückerwerb und Wiederaufbau
Da sich kein Käufer fand, konnte Heinrich von der Schulenburg seinen Besitz zurück erwerben und ein neues Wohnhaus errichten.
„Der Neubau bestand aus dem zweistöckigen Haupthaus mit einer zweiflügeligen Eingangstür und 15 Fenstern, einem kleineren einstöckigen Nebengebäude und dem dazwischen stehenden Rest des alten Turmes.“ (Quelle: Dorfchronik Angern)
➔ Kommentar: Vermutlich auf der südlichen Turminsel wurde ein neues Wohnhaus errichtet.
„Sonsten ließ ich auch die in dem Turmgewölbe gehabten Sachen hervorbringen, welche in ungemein schlechten Stande angetroffen, die Hälfte vom Leinzeuge ist verdorben.“ (Quelle: Rep. H Angern Nr. 412)
➔ Kommentar: Das Gewölbe des Wehrturms zeigte starke Feuchteschäden. Das eingelagerte Leinen, das Christoph Daniel wohl für den Bau des Schlosses dort eingelagert hatte waren größtenteils zerstört.
„[...] da der Maurermeister das Haus 1 Fuß 4 1/2 Zoll tiefer gebauet [...] der Hof vor dem Haus verniedriget werden muß, wodurch das Turmgewölbe nebst dem dabei stehenden Keller eingebrochen und verschüttet werden muß [...]“ (Gutsarchiv Angern, Rep. H Nr. 336 (Berichte Croons an Christoph Daniel von der Schulenburg, 1737–1739) Nr. 1, Bericht vom 16. September 1737)
➔ Kommentar: Hinweis auf das mittelalterliche Turmgewölbe
„[...] habe hiesige Herren [schon immer] bedeutet, daß Ew. Exz. [sich nicht] zu Abbrechung der Gewölbe und Zuwerfung des kleinen Grabens resolviren würden [...]“ ((Gutsarchiv Angern, Rep. H Nr. 336 (Berichte Croons an Christoph Daniel von der Schulenburg, 1737–1739) Nr. 4, 18. November 1737)
➔ Kommentar: Bedeutender Erhaltungsversuch: Der ursprünglich geplante Abriss mittelalterlicher Kellergewölbe und des Grabens zwischen Hauptburg und Turminsel konnte nach Intervention Schulenburgs verhindert werden.
1737: Abriss und barocker Neubau
„Nachdem ich aber Ew. Exz. Sentiment eröffnet, so haben endlich H. Landbaumeister […] gefunden, daß der kleine Graben sowie die Gewölbe können konserviert werden, auf die Maße, daß man die Decke [...] ganz wieder neu schlüge und solche niedriger mache [...]“ ((Gutsarchiv Angern, Rep. H Nr. 336 (Berichte Croons an Christoph Daniel von der Schulenburg, 1737–1739), Nr. 4, 18. November 1737)
➔ Kommentar: Im November 1737 wurde von Christoph Daniel von der Schulenburg beschlossen, die mittelalterlichen Gewölbe im Erdgeschoss des Palas nicht aufzugeben, sondern sie in veränderter Form zu erhalten. Dazu sollten die Decken abgetragen, neu aufgemauert und niedriger angelegt werden, um sie an die neue Hofgestaltung anzupassen. Dieser bauliche Eingriff entspricht genau dem heutigen Befund: Die bis dahin vollständig erhaltenen Tonnengewölbe aus Bruchstein wurden nach 1737 abgerissen und durch neue Tonnengewölbe aus Backsteinziegeln ersetzt. Aufgrund der erhaltenen Bruchsteinreste am Unterbau der Tonnen und der noch vorhandenen westlichen Außenwand des Palas mit dem Umkehrgang ist eindeutig nachvollziehbar, dass die neuen Ziegelgewölbe auf den ursprünglichen Fundamenten errichtet wurden. Dabei wurden die Raumgrößen und Grundstrukturen beibehalten, sodass der Grundriss des mittelalterlichen Palas bis heute vollständig erhalten geblieben ist.
➔ Archäologischer Befund: Über dem Flur und dem nördlichen Palas-Raum sind die neuzeitlichen Ziegelgewölbe erhalten und dokumentiert. Im südlichen Palas-Raum wird aufgrund der Lage und der bauarchäologischen Gegebenheiten ein entsprechendes, bislang verschüttetes Ziegelgewölbe vermutet. Die heute sichtbaren Ziegelgewölbe des Palas gehen direkt auf die Bauentscheidung von 1737 zurück. Sie ruhen auf den Fundamenten der hochmittelalterlichen Burg und bewahren trotz der Erneuerung die originale Raumstruktur des Palas.
1734: Bergung von Gegenständen vor dem Abriss
„über die Sachen, so von denen abzubrechenden Gebäuden verwahrlich aufzuheben sind“ (Gutsarchiv Angern, Rep. H Nr. 409 (Inventar von 1734))
➔ Kommentar: Belegt, dass ältere Baustrukturen vor dem Neubau vorhanden waren. Gemeint sind die Mitte bis Ende des 17. Jahrhunderts errichteten Vorgängergebäude mit den Resten der mittelalterlichen Burg.
„In der Turmstube ist nur alte Tür mit einen alten Schloß und 2 alten Krampen. In der Stube ist ein eiserner Ofen mit einem Aufsatz von bunten Kacheln. Ferner sind in der Stube 9 Fenster, jedes mit 1 Fachen, so an Blei und Glase in runden Scheiben noch gut, die Rähme aber sind alt. [...]“ (Gutsarchiv Angern, Rep. H Nr. 409 (Inventar von 1734))
➔ Kommentar: Detaillierte Beschreibung der Ausstattung eines erhaltenen Turmzimmers mit mittelalterlichem Charakter, darunter runde Glasscheiben, originale Türen und Eisenbeschläge.
Berichte Croons an Christoph Daniel von der Schulenburg, 1737–1739
„[...] Croon war mit Maurermstr. Böse in Angern zur Visitation des Baus, da selbiger aber krank geworden sei, habe er seine schriftliche Beurteilung noch nicht angefertigt [...] Böse sei aber der Meinung, es wäre unpracticabel, die alten Keller behalten zu wollen.“ (Gutsarchiv Angern, Rep. H Nr. 336 (Berichte Croons an Christoph Daniel von der Schulenburg, 1737–1739) Nr. 7, 22. Januar 1738)
➔ Kommentar: Einschätzung des erfahrenen Maurermeisters Böse, dass die mittelalterlichen Gewölbe baulich nicht sinnvoll weiterverwendbar seien.
„Zur Zusammenkunft in Angern ward der 1. Sept. angesetzt […] besahe ob der Garten nach dem Memoire angelegt, der Bau nach der Instruktion traktiert und alles nach Ew. Exz. Intention geschehen […] ließ ich auch die in dem Turmgewölbe gehabten Sachen hervorbringen, welche in ungemein schlechtem Stande angetroffen, die Hälfte vom Leinenzeuge ist verdorben […]“ (Nr. 1, Bericht vom 16. September 1737)
➔ Kommentar: Belegt, dass das Turmgewölbe zu diesem Zeitpunkt noch als Lagerraum diente, dessen baulicher Zustand jedoch bereits sehr schlecht war.
„[…] da der Maurermeister das Haus 1 Fuß 4 1/2 Zoll tiefer gebauet […] der Hof vor dem Haus verniedriget werden muß, wodurch das Turmgewölbe nebst dem dabei stehenden Keller eingebrochen und verschüttet werden muß […]“ (Nr. 1, Bericht vom 16. September 1737)
➔ Kommentar: Hinweis auf ein älteres, vermutlich mittelalterliches Turmgewölbe, das dem barocken Neubau weichen musste.
„[…] habe hiesige Herren [schon immer] bedeutet, daß Ew. Exz. [sich nicht] zu Abbrechung der Gewölbe und Zuwerfung des kleinen Grabens resolviren würden […]“ (Nr. 4, 18. November 1737)
➔ Kommentar: Bedeutender Erhaltungsversuch: Der ursprünglich geplante Abriss mittelalterlicher Kellergewölbe und Grabenstrukturen konnte nach Intervention Schulenburgs verhindert werden.
„[…] der kleine Graben sowie die Gewölbe können konserviert werden, auf die Maße, daß man die Decke […] ganz wieder neu schlüge und solche niedriger mache […]“ (Nr. 4, 18. November 1737)
➔ Kommentar: Die Passage belegt, dass ein vollständiger Erhalt der mittelalterlichen Gewölbestrukturen des Palas und des Bergfrieds im Rahmen des barocken Neubaus zwar nicht möglich war, man jedoch durch eine bauliche Umgestaltung – konkret die Abtragung und Absenkung der Gewölbedecke – eine konservierende Anpassung plante. Diese Maßnahme verdeutlicht das Spannungsverhältnis zwischen baulichem Fortschritt und Bestandserhalt. Es handelt sich um einen selten dokumentierten Fall, bei dem Bestandsschutz durch bauliche Integration mittelalterlicher Substanz in ein barockes Bauwerk realisiert werden sollte.
„[…] trotz aller Fehler sei das Haus gut und gesund und durch nichts verunziert, nur das Turmgewölbe ginge verloren, es sei aber ohnehin ungesund und Keller genug vorhanden […]“ (Nr. 4, 18. November 1737)
➔ Kommentar: Eingeständnis des Verlusts des Turmgewölbes, vermutlich aus der mittelalterlichen Anlage stammend.
„[…] bei Einbrechung der Gewölbe sich eine Menge Steine gefunden […]“ (Nr. 20, 9. November 1738)
➔ Kommentar: Möglicher Hinweis auf mittelalterliche Bausubstanz beim Abbruch. Die Passage deutet auf das planmäßige oder durch Senkung des Bodenniveaus bedingte Abtragen älterer Gewölbestrukturen hin. Die „Menge Steine“ spricht für massiv ausgeführtes Mauerwerk, wie es typisch für mittelalterliche Kellerbauten war. Besonders bedeutsam ist, dass die Steine offenbar zur Errichtung neuer Gartenmauern verwendet wurden, die zum Teil heute noch erhalten sind. Diese Wiederverwendung belegt nicht nur die Materialqualität, sondern auch den substantiellen Umfang der abgebrochenen Strukturen.
„[…] es bleibet mir ein vor allemal unbegreiflich, warum man justament verkehrt, nämlich das Haus tief in die Erde und den Grundzapfen hoch über der Erde gebauet […]“ (Nr. 19, 5. Oktober 1738)
➔ Kommentar: Scharfe Kritik an der gesamten Höhenplanung des barocken Neubaus. Das Haus liegt zu tief (was feuchte Souterrains bedingt), der Wasserauslass des Teichs hingegen zu hoch, sodass keine effektive Entwässerung möglich ist. Diese „verkehrte“ bauliche Logik zeigt, dass die neue Anlage nicht mit der alten Topografie abgestimmt wurde – ein entscheidender Hinweis auf gestörte historische Baufolgen.
„[…] der Brunnen in Form eines Türmchens […]“ (Nr. 19, 5. Oktober 1738)
➔ Kommentar: Möglicherweise Hinweis auf einen älteren oder wiederverwendeten Brunnenschacht. Die Formulierung bestätigt den Befund eines Brunnenschachts im Gewölbe des Ostflügels. Die turmartige Ausführung könnte auf eine Überformung oder symbolische Inszenierung im barocken Stil hinweisen, oder auf ein älteres bauliches Element mit Repräsentationswert.
„Gewölbter Keller unter dem alten Bau […] mit einem engen Lichtschlitz gegen Westen“ (Gutsarchiv Angern, Rep. H Nr. 76 (Generalinventarium von 1752))
➔ Kommentar: Beschreibung des Erdgeschosses der Bergfrieds als unterirdisches Gewölbe, dessen Form und Belichtung typisch für mittelalterliche Keller ist. Dieser Raum ist im Ostflügel noch volständig erhalten.
Archäologische Hinweise
- Keine systematischen Grabungen dokumentiert. Die noch heute begehbaren Tonnengewölbe im Bereich des Palas sind erhalten, allerdings mit Ziegelmauerwerk barock überformt.
- Der gewölbte Keller mit Lichtschlitz gegen Osten ist noch vorhanden und stellt eines der wichtigsten baulichen Zeugnisse der mittelalterlichen Phase dar. Gemeint ist das Erdgeschoss und das benachbarte Tonnengewölbe des Bergfrieds im Ostflügel, also nordöstlich auf der ursprünglichen Turminsel gelegen. Dies betrifft insbesondere Teile der massiven Mauern und Kellerräume.
- Ein Brunnenschacht ist im östlichen Gewölbe noch nachweisbar; möglicherweise identisch mit dem 1738 erwähnten „Türmchen“.
Vergleichbare Baustrukturen in der Region
Direkt vergleichbare Burgen mit einer ähnlich ausgeprägten Dreigliederung sind selten. Dennoch lassen sich einige Parallelen ziehen:
- Burg Lenzen (Brandenburg): Ursprünglich wasserumwehrt mit Grabenanlagen; klare Trennung von Wohn- und Wehrbereich, wenn auch keine separate Turminsel.
- Burg Plötzkau (Salzlandkreis): Inselburg an der Saale mit erhaltener Ringmauer und ehem. Wehrturm; räumlich differenzierte Baukörper.
- Burg Ziesar (Brandenburg): Wasserburg mit späterer Bischofsresidenz; getrennte Wirtschaftsvorburg und teils erhaltener Wehrturm.
- Burg Kalbe (Altmark): Frühere Inselburg mit separater Vorburg; heute nur noch schriftlich und topografisch nachvollziehbar.
In keiner dieser Anlagen ist eine separate Turminsel mit Wehrfunktion so klar überliefert wie in Angern. Die Burg stellt damit ein in Norddeutschland nahezu einzigartiges Beispiel für eine verteidigungsstrategisch gegliederte Wasserburganlage dar.
Bewertung und Ausblick
Die vorhandenen Quellen belegen, dass beim barocken Neubau mehrfach auf ältere Baustrukturen gestoßen wurde. Diese wurden teils zerstört, teils in reduzierter Form überformt. Die wiederkehrende Erwähnung von Gewölben, Gräben und Einbruchstellen legt nahe, dass substanzielle Teile der mittelalterlichen Burg im Untergrund weiterbestehen könnten. Eine gezielte archäologische Untersuchung, insbesondere im Bereich des Innenhofs und Nordflügels, ist dringend anzuraten.
Empfohlen wird eine systematische bauarchäologische Untersuchung der erhaltenen Kellerzonen, eine dendrochronologische Datierung sekundärer Dach- und Balkenstrukturen sowie die digitale Modellierung des Entwicklungszustands um 1350, 1631 und 1745 auf Basis der vorhandenen Pläne, Fotografien und Textquellen.
Literaturverzeichnis
- Brigitte Kofahl: Dorfchronik Angern
- Gutsarchiv Angern, Rep. H Angern Nr. 412, Nr. 4 (18.11.1737), Nr. 7 (22.01.1738).
- Schulenburg, Christoph Daniel von der: Mémoire zur Anlage des Schlossparks Angern, 1745.
- Denkmalliste des Landes Sachsen-Anhalt, Eintrag Schloss Angern, Stand: 2023.
- Meyhöfer, Andreas (Hrsg.): Burgen und Schlösser in Sachsen-Anhalt, Halle: Landesamt für Denkmalpflege, 2008.
- Wulf, Andrea: Die Eroberung der Natur. Eine Geschichte der Gartenkunst, München: Bertelsmann, 2009.
- Krause, Werner: Die Burgen der Altmark: Formen, Funktionen und historische Entwicklung, Magdeburg: Mitteldeutscher Verlag, 1995.
- Störmer, Wilhelm: Der Adelssitz im Mittelalter – Untersuchungen zur Entwicklung von Wehr- und Wohnfunktion, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1973.