Die Analyse adliger Garderobeninventare bietet einen seltenen und zugleich vielschichtigen Einblick in das materielle, soziale und symbolische Gefüge frühneuzeitlicher Lebensformen. Gerade im Fall des Generalmajors Christoph Daniel von der Schulenburg (1679–1763), dessen Besitzstand 1752 im Rahmen einer umfassenden Inventur des Schlosses Angern dokumentiert wurde, tritt die Kleidung nicht nur als persönliche Habe, sondern als Teil eines geordneten Repräsentations- und Standeskonzepts in Erscheinung.
Solche Inventare dienten mehreren Zwecken: Sie sicherten Besitzverhältnisse im Rahmen von Fideikommissregelungen und Erbfolgen ab, stellten gegenüber Gläubigern einen Nachweis dar und bildeten eine materielle Basis sozialer Ordnung im Haus. Gleichzeitig spiegeln sie individuelle Lebensführungen und kollektive Standeskulturen. Kleidung wird hier nicht allein als Schutz- oder Statusobjekt erfasst, sondern als kultiviertes System der Zeit-, Funktions- und Anstandsunterscheidung – gegliedert nach Jahreszeiten, Tätigkeiten, Zeremoniell und Körpernähe.
Das Garderobeninventar Christoph Daniel von der Schulenburgs ist Teil des umfangreichen Nachlasses im Gutsarchiv Angern, das heute unter der Signatur Rep. H 76 verwahrt wird. Der Bestand dokumentiert in bemerkenswerter Vollständigkeit die wirtschaftlichen, personellen und materiellen Verhältnisse des Ritterguts Angern im 18. Jahrhundert. Die Garderobenliste ist dem Inventarverzeichnis von 1752 zugeordnet, das unter der Rubrik „No. 20. Garderobe“ eine detaillierte Erfassung der Kleidung, Textilien, Möbel, Aufbewahrungsobjekte und persönlichen Gegenstände des Generals enthält. Sie wurde offenbar im Kontext einer umfassenden Revision des Haushalts vorgenommen, die nachweislich durch Sekretär Brieres erstellt und bis 1754 fortlaufend ergänzt wurde. Die Handschrift des Verzeichnisses ist sauber gegliedert, teilweise mit Marginalien versehen, und lässt sich formal wie inhaltlich der Inventarpraxis des brandenburgisch-preußischen Adels zurechnen. Der hohe Grad an Differenzierung – z. B. zwischen Alltags-, Sommer-, Uniform- und Reisegarderobe – deutet darauf hin, dass es sich nicht um eine routinemäßige Nachlassaufnahme, sondern um eine bewusst strukturierte Besitz- und Statusdokumentation handelt. In Verbindung mit weiteren Quellen im Archiv (u. a. Testamenten, Korrespondenz, Zahlungsanweisungen) bildet das Inventar eine zentrale Quelle für die Erforschung der Textil-, Besitz- und Adelskultur des mitteldeutschen Raums im 18. Jahrhundert.
Garderobenverzeichnisse wie das vorliegende gehören zu einer Gattung von Quellen, die in der historischen Forschung lange marginalisiert war, aber zunehmend als Medium gelebter Adelskultur erschlossen wird. Sie dokumentieren nicht nur Konsum und Besitz, sondern auch Körperpraxis, Mobilität, Arbeitsteilung, höfische Etikette und textile Wissensbestände. Im Inventar verschmelzen Stoff, Rang, Weltbild und Familiengeschichte zu einem dichten historischen Text.
Insbesondere in der neueren Sachkulturforschung wird die Garderobe als Raum der Selbstverortung verstanden: Kleidung als „zweite Haut“ des Standes^1^, als „soziale Rüstung“^2^ oder als „beweglicher Speicher aristokratischer Identität“^3^. Die Analyse der Kleidung Christoph Daniel von der Schulenburgs zeigt exemplarisch, wie der Körper des Adligen als Träger von Rang, Ehre, Gedächtnis und Ordnung in Stofflichkeit übersetzt und konserviert wurde.
Literatur
- Ulinka Rublack: Dressing Up: Cultural Identity in Early Modern Europe. Oxford 2010.
- Peter Burke: Kleidung und Identität in der Frühen Neuzeit. In: Historische Anthropologie 8 (2000), S. 17–34.
- Karin Schick (Hg.): Kleider machen Leute – Mode im Barock. München 2004.
- Daniela Bohde / Claus Zittel (Hg.): Körperwissen. Strategien der Visualisierung im 18. Jahrhundert. München 2009.
- Michael Sikora: Militär und Sozialprestige in der Frühen Neuzeit. Berlin 2005.