Christoph Daniel von der Schulenburg (1679–1763), königlich-sardinischer General und preußischer Majoratsherr, zählt zu den prägenden Gestalten des 18. Jahrhunderts in der mitteldeutschen Adelslandschaft. Sein Einfluss auf die Entwicklung des Gutes Angern wie auch auf die Verwaltungspraxis des Landadels lässt sich anhand zahlreicher Quellen aus dem Bestand H 13 (Gutsarchiv Angern) rekonstruieren. Die archivalische Überlieferung erlaubt nicht nur Einblicke in seine ökonomischen und administrativen Maßnahmen, sondern auch in familiäre Netzwerke, testamentarische Verfügungsmacht und landesherrliche Kommunikation.
1. Erwerb und Konsolidierung der Gutsbesitzungen
Ein zentrales Anliegen Christoph Daniel von der Schulenburgs war die Vereinigung der zuvor geteilten Linienbesitze in Angern. Die Dokumente H 13, Nr. 10 und Nr. 490 zeigen ihn in aktiver Rolle bei Lehnserneuerungen und Besitzsicherungen, darunter die Mitbelehnung der Güter Hörsicht und Bülitz (1735) sowie die Lehnsübernahme von Burg- und Kirchscheidungen (1723–1734). Sein strategisches Ziel: die Festigung eines geschlossenen Majorats zur dauerhaften Sicherung des Familienbesitzes.
2. Infrastruktur und Baupolitik
Ein besonders illustrativer Bestand sind die Bauunterlagen Nr. 410–413, die in den Jahren 1735–1739 den Ausbau des Schlosses Angern dokumentieren. Neben Baurechnungen finden sich Schenkungen des preußischen Königs Friedrich Wilhelm I., was auf eine enge Verbindung zum königlichen Hof hindeutet. Schulenburg verstand sich offenbar nicht nur als Militär, sondern auch als repräsentativer Bauherr im Sinne des aufgeklärten Absolutismus.
3. Inventar und Administration des Schlosses
Im Zuge seiner Verwaltung ließ Christoph Daniel detaillierte Inventare anfertigen. Das Generalinventar von 1752 (Nr. 76) enthält umfassende Angaben zu Mobiliar, Tapeten, Spiegeln, Silbergeschirr und landwirtschaftlichem Gerät. Diese Bestandsaufnahme dokumentiert nicht nur den Reichtum des Hauses, sondern auch eine frühmoderne Ordnungspraxis, wie sie im Hochadel jener Zeit zunehmend üblich war【H 13, Nr. 73–76】.
4. Spätzeit, Tod und Erbregelungen
Besondere Beachtung verdienen die Akten zum Testament und Tod Christoph Daniels. Die Stücke H 13, Nr. 464–468 umfassen seine letzten persönlichen Verfügungen (1762–1763), darunter das Originaltestament vom 12. August 1763 (Nr. 466), die Obsignation (Nr. 465) und Nachlassinventare. Interessant ist der anschließende Erbstreit zwischen Heinrich Werner Gottlieb und Alexander Friedrich Christoph von der Schulenburg, dokumentiert in den Nrn. 467–468, der Rückschlüsse auf die innerfamiliäre Machtbalance zulässt.
Rechtliche und wirtschaftliche Konsolidierung – Strategien der Herrschaftssicherung
Christoph Daniel von der Schulenburg nutzte nicht nur seine militärischen Verdienste, sondern vor allem juristisch-administrative Mittel, um seinen Herrschaftsanspruch in Angern dauerhaft abzusichern. Dabei verfolgte er eine klare Strategie: die Wiederherstellung, juristische Absicherung und wirtschaftliche Optimierung des zersplitterten Familienbesitzes. Den entscheidenden Schritt bildete der Erwerb der Güter Angern und Angern-Vergunst zwischen 1734 und 1738, wodurch er die zuvor geteilten Erbteile der drei Hauptzweige der Schulenburgischen Linie unter seiner Hand vereinte (vgl. H 13, Nr. 25–26). Damit war der Weg frei für eine zentralisierte Verwaltung und ein geschlossenes Majoratsgut. Diese neue Einheit ließ er 1762 in ein Fideikommiss überführen – eine erbfolgebindende Stiftung, die die Unteilbarkeit des Besitzes garantierte und ihn damit dem Zugriff freier Vererbung entzog. Diese rechtliche Konstruktion diente nicht nur der Familienehre, sondern vor allem der Sicherung von Status und wirtschaftlicher Kontinuität über Generationen hinweg (vgl. H 13, Nr. 458).
Parallel zur rechtlichen Absicherung betrieb Christoph Daniel eine präzise wirtschaftliche Erfassung seines Besitzes:
- Generalinventare (1732, 1738, 1752) hielten Viehbestände, Gebäude, Ackerflächen und Gerätschaften fest (z. B. H 13, Nr. 73–76).
- Zahlreiche Pachtverträge und Abgabenverzeichnisse dokumentieren die fiskalische Effizienz seiner Gutsverwaltung.
- Monatsextrakte und Naturalabrechnungen ab den 1760er Jahren zeigen die systematische Kontrolle über Erträge und Ausgaben.
Diese Maßnahmen machten das Gut Angern nicht nur wirtschaftlich tragfähig, sondern auch rechtlich unangreifbar – ein Ziel, das Christoph Daniel mit Akribie und juristischer Stringenz verfolgte. Die Kombination aus Besitzsicherung, fiskalischer Ertragssteigerung und erbfolgerechtlicher Bindung zeigt ihn als einen Adligen neuen Typs: rational, durchsetzungsstark, langfristig planend.
5. Wirtschaftliche Maßnahmen und Landpolitik
Christoph Daniel war auch als Ökonom aktiv. Die Signaturen Nr. 495–496 belegen den Erwerb und die Verpachtung des Gutes Krüssau (1755–1761). In einer Zeit, in der viele Adelige verschuldet waren, zeigt Schulenburg damit unternehmerisches Geschick und strategische Erweiterung des Besitzes.
6. Gesundheit und Seuchenbekämpfung
Auch in seuchenpolitischen Fragen agierte er als lokaler Autoritätsträger. Die Edikte Nr. 393–394 betreffen Maßnahmen zur Bekämpfung einer Viehseuche im Raum Angern (1746–1761), was seine Rolle als Gutsherr in landwirtschaftlichen Krisenzeiten unterstreicht.
7. Normsetzung und soziale Ordnung: Die Angernsche Dorfordnung
Ein bislang wenig beachtetes, aber in seinem Umfang und seiner Detailtiefe außergewöhnliches Dokument ist die von Christoph Daniel erlassene Dorfordnung für Angern, Wenddorf und Bülitz, überliefert in Rep. H Angern Nr. 139. Diese umfassende Regelung des Dorflebens geht weit über die Vorgaben der Magdeburgischen Polizeiordnung hinaus, auf die sie sich ausdrücklich beruft. In über 100 Paragraphen kodifiziert sie moralisches Verhalten, religiöse Praxis, Heirats- und Schulpflicht, wirtschaftliche Abläufe, Flurordnung und polizeiliche Maßnahmen – von der Pflicht zur regelmäßigen Predigtteilnahme bis zum Verbot des Spinnensgehens in Nachbarhäusern. Die Dorfordnung spiegelt das frühabsolutistische Herrschaftsverständnis ihres Verfassers: Als patrimonialer Gerichtsherr war Christoph Daniel nicht gesetzlich zur Abfassung einer solchen Ordnung verpflichtet, doch entsprach sie seinem autoritären wie fürsorglichen Selbstverständnis als „Regimentsherr“ im ländlichen Raum. Die Ordnung fungierte zugleich als Mittel zur Festigung der lokalen Herrschaft, zur sozialen Disziplinierung und zur Sicherung der ökonomischen Produktivität auf dem Gut. Ihre Ausgestaltung macht deutlich, wie sich landesherrliche Normen im lokalen Kontext konkretisierten und mit der Lebenswelt der Untertanen verwoben wurden.
Fazit
Die archivalische Überlieferung zu Christoph Daniel von der Schulenburg zeigt einen vielseitigen Akteur des 18. Jahrhunderts: einen strategischen Familienpolitiker, einen gebildeten Administrator, einen repräsentativen Bauherrn und wirtschaftlich denkenden Gutsbesitzer. Der Bestand im Gutsarchiv Angern liefert damit einen dichten Quellenkörper, der die Adelskultur in der Übergangszeit vom Spätbarock zur Aufklärung exemplarisch veranschaulicht.
Quellenangaben (nach Signatur aus Findbuch H 13, Gutsarchiv Angern):
H 13, Nr. 10, 73–76, 410–413, 464–468, 490, 495–496, 501, 393–394