| Quelle: Volksstimme, Altmark Umschau, 16.2.2009 Das Wasserschloss in Angern
Graf von der Schulenburg dreht die Zeit zurück
Ìber
das Wasserschloss in Angern wissen selbst Leute aus der näheren
Umgebung wenig. Das setzt sich in der Reiseliteratur fort. Unter den
touristischen Sehenswürdigkeiten der südlichen Altmark führt es ein
unscheinbares Dasein. Zu Unrecht. Von Kurt Hübner
Angern.
Wer als Fremder nach Angern kommt und zum Schloss möchte, braucht schon
etwas Geduld. Eingebettet in sattem Grün liegt die Anlage weniger als
100 Meter gegenüber der stattlichen Kirche in der alten Dorfstraße. Der
Bau der ersten Burganlage geht auf das Jahr 1341 zurück. Er steht im
Zusammenhang mit den Jahrhunderte dauernden Grenzstreitigkeiten.
Erzbischof Otto von Magdeburg und Kurfürst Friedrich II von Brandenburg
beendeten diese Auseinandersetzungen mit dem zinnaischen Vergleich am
12. November 1339. Damit war die Grenze zur alten Mark gesichert. 1905
beschrieb Pastor Lühe aus Angern die Anfänge des Burgbaues in einem
chronischen Abriss über den Ort: "Ein rühriges Treiben herrscht an der
Stelle, wo heute das Schloss steht. Erzbischof Otto von Magdeburg lässt
eine Burg bauen und seine Dienstpflichtigen aus Angern, Wenddorf,
Mahlwinkel und Cobbel sind in voller Arbeit. Dazu Werkmeister und
Aufseher ... Hier ist eine Anzahl beschäftigt zur Schaffung eines
Burggrabens die Erde aufzugraben. Barfuß, die Beinkleider hoch über die
Knie geschoben, mit nackten Armen - so standen sie im Graben und warfen
die Erde in die Karren. Und während einer schob, zog ein anderer am
Strick vorn. So setzte sich der Zug in Bewegung, um die Erde auf den
nassen Sumpfboden oder dem Vorraum der Burg aufzuschütten."
Seit 1448 in Familienbesitz
Im
Gegensatz zu den Burgen Rogätz, Tangermünde und Arneburg, die am
westlichen Steilufer saalezeitlicher Grundmoränen angelegt und als
Hohertburgen zu verstehen sind, lag die Burg Angern am Schnittpunkt des
welligen Vorlandes der Colbitz-Letzlinger Heide und der Niederung des
Tangers in einem schwer zugänglichen Sumpfgebiet. Das große Wort hatten
hier die Krähen und Elstern und auf den Tümpeln die Enten. Wie Funde
belegen, haben hier schon Jahrtausende Menschen gelebt. Sie haben sich
genährt und gekleidet und über viele Generationen hinweg die
Naturlandschaft verwandelt und wertvolles Ackerland geschaffen. Die
höchsten Erhebungen sind mit 53,1 Metern der Haidberg, etwas westlich
des ehemaligen Gutes Vergunst gelegen und der englische Berg (52,6
Meter) am Feldweg nach Loitsche. Das Wasserschloss Angern hat eine
wechselvolle und turbulente Geschichte. Ìber die Jahrhunderte mehrfach
dem Verfall oder Brandschatzungen preisgegeben, wurde es von oft
wechselnden Besitzern immer wieder aufgebaut. Längere Zeit war es
verwaist, ehe im Jahr 1448 die Brüder von der Schulenburg mit der Burg
beliehen wurden. Busso, Bernhard und Matthias von der Schulenburg
erhielten sie für 400 Gulden als magdeburgisches Lehen. Dazu gehörten
der Schlosshof, der alte Hof und der Hof Vergunst. Fast 500 Jahre lang
waren die Schulenburgs Schlossgesessene. Was wäre Schloss Angern
ohne Angern? Beide gehören seit eh und je zusammen. Das Schloss war der
Mittelpunkt des Dorfes. Im Schatten und im Schutz der Burg lebten die
Bauern in einem bescheidenen Wohlstand. Im Jahr 1848 entstand das
Schloss in der Form, wie sie sich heute dem Betrachter darstellt. Von
1841 bis 1843 ließ Edo Friedrich Christoph Daniel von der Schulenburg
das Erscheinungsbild verändern. Dem Geschmack der damaligen Zeit
entsprechend entstand ein Bau im beliebten römischen Villenstil. Das
Ziegelwalmdach wurde durch ein flaches Zinkdach ersetzt. Umfangreiche
Veränderungen gab es im Inneren dieses nun klassizistischen Baus. Die
barocken Innenräume wurden erhalten. Insgesamt wurde damit ein Ensemble
vollendet, das eine organische Verbindung von Architektur und Natur
darstellt. Laut Endabrechnung fielen für die einzelnen Gewerke
Kosten von insgesamt 21 681 Talern und 23 Silbergroschen an. Ein Taler
hatte zu dieser Zeit 30 Silbergroschen zu zwölf Pfennigen. Ein Maurer
verdiente 16 Viertel Silbergroschen für sein Tagwerk. Der Komplex
umfasst rund sechs Hektar. Bedeutende Objekte sind die beiden Inseln
mit der alten Burg und dem neuen Schloss, der Burggraben,
Schlossgraben, Schlossteich oder wie in Angern gesagt ,,Bosporus", drei
alles miteinander verbindende Brücken, der Schlosspark und der
Tiergarten. Vom Gutshof auf der Westseite ist nicht mehr viel übrig
geblieben. Aus der ehemaligen Schlossgärtnerei an der Nordseite wurden
im Laufe der Jahrzehnte Kleingärten. Wer heute zur Schlossanlage
gelangen will, fährt oder geht die alte Dorfstraße entlang bis zur
Kirche. Gegenüber ist die Zufahrt zum Schloss zu finden. Sie führt über
die ehemalige Zugbrücke zur Burginsel. Im Jahr 1860 wurde die
hölzerne Brücke durch einen Massivbau ersetzt. Von der Parkplatzfläche
auf der linken Seite aus zeigt sie sich in ihrer ganzen Schönheit. Sie
wurde als flache Bogenbrücke ausgelegt und ist ein solider
Natursteinbau aus behauenen Feldsteinen. Die Schmuckelemente bilden,
wie bei der Parkbrücke, die Ballustraden aus Sandstein und die
besonders sauber behauenen großen Steine der Brückenlaibung. Diese
Brücke hat eine Fahrbahnbreite von vier Metern und eine Länge von 13
Metern. Die Höhe von der Wasserlinie des Schlossgrabens bis zur
Fahrbahn beträgt 3,5 Meter. Die mittlere Brücke ist ein solider
Backsteinbau. Das Tonnengewölbe hat eine Breite von 20 Metern und eine
Spannweite von fünf Metern. Von der Zufahrtbrücke aus hat man
einen guten Blick in den Schlossgraben. Mit einer durchschnittlichen
Breite von elf Metern ist der Begriff Graben aber untertrieben. Von
einem Schlossteich zu sprechen, der die beiden Inseln umspült, wäre
treffender. Die Wassertiefe beträgt rund zwei Meter. Die gesamte
Wasserfläche hat eine beachtliche Größe von etwa 3000 Quadratmetern. Der
Wasserstand lässt sich heute wieder regulieren. Das Gewässer ist für
seinen Fischreichtum bekannt. Besonders stattliche Karpfen wurden einst
gefangen.. Um die Netze herausziehen zu können, hat man in der drei
Meter hohen Außenmauer in Höhe der mittleren Brücke eine Öffnung
gelassen. Bei Restaurierungsarbeiten in der Nachkriegszeit wurde die
Öffnung geschlossen. Irgendwann verschwand auch der Angelkahn, der
links neben der Brücke vor Anker lag.
Ein Bauernmädchen rettet den Grafensohn
Es
gehört zu den weniger schönen Episoden, dass Kuno, der achtjährige Sohn
des Grafen, beim Angeln ausrutschte und im Schlossteich landete. Ein
beherztes Bauernmädchen, Else Adler, zog den Jungen aus dem Wasser und
verhinderte so ein Drama. Mit einem Eintrag in das Poesiealbum bedankte
sich Kuno einige Jahre später bei seiner Lebensretterin. Im Winter
war der zugefrorene Teich ein beliebter Tummelplatz für die Dorfjugend.
Es hieß aber Aufpassen. Denn der Teich wird nicht nur vom Grundwasser
gespeist. Unter der ersten Brücke befinden sich einige Quellen, und die
halten dieses Stück eisfrei. Betritt man die Burginsel, wähnt man
sich in einer kleinen Parkanlage. Die etwas bescheidene Dimension von
34 mal 34 Metern verhindert allerdings, dass ein richtiges Inselgefühl
aufkommt. Die Schlossinsel ist dagegen etwas größer. Einst war ein
stattlicher Tulpenbaum auf der linken Seite die ganze Zierde der
Burginsel. In jüngerer Zeit wurden einige Garagen und ein modernes
Holzschnitzelheizwerk gebaut. Die Betrachtung der Burginsel von
der Seite lässt die Konturen von Kellerfenstern erkennen. In der Tat
handelt es sich um das Kellergeschoss der alten Burganlage. Ein
Problem der Burginsel ist der Wildwuchs von Bäumen und Sträuchern aus
dem Mauerwerk. Eine stattliche Platane und blühender Flieder haben
durchaus ihre Reize, und der Naturfreund mag darin den zähen
Ìberlebenswillen der Natur erkennen. Beim Denkmalschützer müssten
allerdings angesichts dieser schleichenden Zerstörung des historischen
Mauerwerks die Alarmglocken läuten. Folgt man der Zufahrt über die
Schlossbrücke betritt man eine Art Ehrenhof. Jeder Besucher muss hier
ein- oder aussteigen, um in das Schloss zu gelangen. Hier zeigt sich
auch die schlichte Schönheit der klassizistischen Dreiflügelanlage in
ihrer ganzen Pracht. Die Frontseite des dreigeschossigen Baus lässt die
Dreiteilung gut erkennen. In der Mitte des Erdgeschosses ist die
massive Eingangstür. Es handelt sich um eine Kassettentür mit
Rautenfüllung aus dem 19. Jahrhundert. Beiderseits von ihr befindet
sich je ein Kastenfenster. Mit dieser Art Doppelfenster ist das gesamte
Schloss ausgestattet. Während der Restaurierungsmaßnahmen in den Jahren
1998 bis 2002 wurden alle 63 Fenster in Anlehnung: der Art von 1745
erneuert. Im Mittelteil des zweiten Geschosses sind drei Fenster, und I
darüber deuten drei kleinere quadratische Fenster auf das Dachgeschoss
hin. Neben dem Mittelteil sind jeweils zwei Fenster der gleichen Art in
allen Etagen.
Unterirdische Gänge bleiben eine Legende.
Die
in zwei Etagen, Erd- und Dachgeschoss gehaltenen Flügel des Anbaus
heben sich deutlich vom Hauptgebäude ab. In der Höhengliederung lässt
sich eine Staffelung zum Dachgeschoss erkennen. Es ist niedriger.
Die
Seitenflügel haben die gleichen Kassettentüren mit Rautenfüllung wie
die Eingangstür zum Schloss. Zu beiden Seiten befinden sich je zwei
Fenster. Auf den Stirnseiten sind je drei Fenster als Blindfenster
ausgelegt. Die in klarer Linie gehaltenen Fenstersimse sind weitere
Schmuckelemente. Gleiches gilt für das Gesims über der Tür.
Blickt
man sich den Gebäudekomplex von der Wasserseite aus an, wird das
Kellergeschoss sichtbar. Es befindet sich über der Wasserlinie. Der
gesamte Gebäudekomplex ist unterkellert. Die Schlossinsel bot eben
keinen Platz für Nebengelass. Deshalb waren im Keller unter anderem die
Schlossküche, die Vorratsräume und die große Wäschemangel
untergebracht. Wie im Falle vieler altehrwürdiger Bauwerke wurden
auch im Wasserschloss Angern geheimnisvolle Gänge vermutet. Besonders,
ausgeprägt war die Suche nach ihnen unmittelbar nach dem Zweiten
Weltkrieg, als das Schloss zur übergangsweisen Wohnstätte für viele
Umsiedler aus den Ostgebieten geworden war. Gerade viele der jungen
Leute waren überzeugt, dass vom Keller aus ein Gang unter dem
Schlossteich hindurch zur Kirche führen müsse. Auch ich war damals
dabei, als die Kellergewölbe durchstöbert wurden. Für geheimnisvolle
Gänge gibt es eben keine schriftlichen Belege. So haben Mythen und
Legenden noch heute einen nahrhaften Boden.
Die Gartenseite
des Schlosses ist die Mittagsseite. Die angedeutete Dreigliederung der
Fassade ist die gleiche, wie auf der Nordseite oder dem Ehrenhof. Die
farblich abgestuften Gesimse betonen die einzelnen Etagen stärker.
Auffallend ist der Höhenunterschied von der ersten Etage bis zur Ebene
der Gartenbrücke. Neben der Brücke war die Anlegestelle Tür den
Angelkahn. Einige Stufen führten direkt in das Wasser. Von der
Eingangstür führt eine zweiläufige Treppe zur unteren Terrasse. Unter
der Treppe ist der Außeneingang zum Kellergeschoss. Eine weitere
Außentür mit Glaskassetten führt in der zweiten Etage zum Balkon. Von
der Terrasse oder dem Balkon hat man einen herrlichen Blick auf die
Sommerblumenwiese des Parkes. Nach mehreren Veränderungen in
vergangenen Jahrhunderten entstand um 1840 ein englischer
Landschaftsgarten in einer Größe von etwa 3,5 Hektar mit Teich und den
typischen Sichtachsen. Ein großer Rundweg mit einem Abzweig zum
Tennisplatz auf der Ostseite des Parkes und zum Tiergarten lud zum
besinnlichen Spaziergang ein. Dem Geschmack und der Mode der
damaligen Zeit entsprechend, waren heimische Sträucher und Gehölze das
Bestimmende. Eine achtarmige Linde ist ein besonderer Blickfang. Im
Frühling, bevor sich der Park in ein sattes Grün taucht, entfaltet sich
Lärchensporn als Bodendecker in den Farben lila und weiß in seltener
Pracht. Dem Volksmund ist dieser Frühjahrsblüher als Kukuksblume
bekannt. Anziehungspunkt für Kinder war in damaliger Zeit die
Fasanenvoliere, weniger als 100 Meter von der Parkbrücke entfernt. Die
kleinen Gäste waren ungebeten, und es galt fast schon als Heldentat,
sich unbemerkt heranzuschleichen, um die Vögel in ihrer schillernden
Pracht zu beobachten. Schwere Stürme haben in den zurückliegenden
Jahrzehnten dem Park schwer zugesetzt. Mitte der 50er Jahre war es eine
relativ kleine Windhose, die eine Schneise in die Lindenallee zum
Bahnhof brach und dann ihr zerstörerisches Werk im Park fortsetzte. Trügerische Idylle: Bäume und Sträucher setzten dem Mauerwerk zu. Sturm hat dem Park stark zugesetzt
Dagegen
werden die Nachmittagsstunden des 16. Mai 1983 noch vielen in
Erinnerung sein. Eine besonders starke Windhose kam vom Süden her. Sie
hatte den Zeltplatz am Barleber See bereits verwüstet und strich mit
unvorstellbarer Energie über den Schlosspark und die Alte Dorfstraße
hinweg. Noch in Zibberick hat sie zwei Hühnerställe angehoben und
wieder fallen gelassen. In Mahlwinkel lag das Flachdach einer
ehemaligen Gaststätte auf der anderen Straßenseite. Die Schäden an den
Gebäuden waren in relativ kurzer Zeit behoben. Die Narben im stark
zerzausen Park brauchten Jahrzehnte, ehe sie sich verwachsen hatten. Wie
bereits erwähnt, gehört der Tiergarten zum Areal des Schlosses. Er
schließt sich als Rechteck in gleicher Breite dem Park an. Beidseitig
ist er von Hecken umsäumt und am unteren Ende bildet ein Baumstreifen
mit Strauchwerk den Abschluss. Woher der Name Tiergarten kommt, lässt
sich nicht genau deuten. Wurden einst Tiere in einem Gatter gehalten
oder brachte eine der Vorfahren, Helene von Schöning, die aus Berlin
stammt, den Namen in Anlehnung an den dortigen Tiergarten mit? Genutzt
wurde dieser Garten als eine Art. Streuobstwiese. Alte Apfelbäume, die
in lichten Reihen standen, waren das Bestimmende. Ein aufregendes
Ereignis gab es im Frühjahr 1944. 140 Bomben wurden südlich des Ortes
abgeworfen. Zwei, die den Grundstücken am nächsten kamen, fielen
weniger als 200 Meter vom Schloss entfernt in den Tiergarten. Wir
Kinder waren zu dieser Zeit gerade im Freien, als wir von einem
ohrenbetäubenden Bersten und Krachen überrascht wurden. wie schnell wir
zur Scheune liefen und uns im letzten Winken verkrochen haben, hat
niemand bewusst wahrgenommen. Kaum war aber der erste Schreck vorüber,
waren wir am Ort des Geschehens. Zwei riesige Trichter hatten sich
in das Erdreich gegraben. Für uns brauchbar war der Ton im Untergrund.
Zu kleinen Kugeln geformt und auf eine' angespitzte Weidenrute
gesteckt, konnte man damit gut an die Wand schnippen. Nach kurzer Zeit
entwickelten sich wahrhafte Meister, die dem Zielpunkt am nächsten
kamen. Nach wechselvoller Nutzung in den vergangenen 50 Jahren
hielt neues Leben im Schloss Einzug. Im Mai 1997 entschloss sich
Alexander Graf von der Schulenburg, die baulichen Anlagen, den Park und
den Forst zurückzukaufen. Er und seine Familie haben sich bei der
Restaurierung des gesamten Ensembles anspruchsvolle Ziele gesetzt, sich
ein Generationswerk vorgenommen. Von der Schulenburg möchte die
Zeitmaschine zurückdrehen und die barocke Innengestaltung in einen
Zustand versetzen, wie sie nach dem Umbau von 1843 geschaffen wurde.
Die Anfänge sind getan, einiges wurde schon erreicht, viel bleibt noch
zu tun an und um das Wasserschloss Angern. |